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Rückblick

Rückblick und Bericht zum GrossmütterForum 2018

Gegen hundert Frauen hatten sich am 9. November 2018 zum ausgebuchten Herbstforum in Zürich eingefunden. Im Zentrum stand die von den beiden Verfasserinnen Marie-Louise Barben und Elisabeth Ryter präsentierte dritte Studie der Manifestgruppe der GrossmütterRevolution «Selbstbestimmung und Abhängigkeit. Erwartungen von Frauen ans hohe Alter.».

Der auf neun Fokusgesprächen mit 68 Frauen zwischen 55 und 75 Jahren basierende Bericht zeigt eindrücklich: Viele Frauen haben grosse Mühe mit der Abhängigkeit und möchten nicht von Angehörigen gepflegt werden. Gemäss den Zielen der Studie, die Stimmen der Frauen der GrossmütterGeneration zur Hochaltrigkeit sicht- und hörbar zu machen und zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter anzuregen, wurde das an der Tagung gleich praktisch geübt. In Gruppengesprächen diskutierten die Anwesenden angeregt über die Frage: «Welche Hilfe kann ich annehmen und von wem?»

Bedürfnisse der Betroffenen im Zentrum

Die beiden Verfasserinnen stellten die Studie im Gespräch mit Jessica Schnelle, Projektleiterin Generationen beim Migros-Genossenschafts-Bund, vor. «Eine hohe Lebensqualität ist besonders wichtig, wenn im vierten Lebensalter Menschen im Alltag auf fremde Hilfe angewiesen sind», betonten Marie-Louise Barben und Elisabeth Ryter. «Studien von Politik oder Fachorganisationen befassen sich vor allem mit den Kosten, der Anzahl Pflegebetten, mit medizinischen und technischen Problemen usw.. Unsere Studie stellt dagegen die künftigen Betroffenen mit ihren Bedürfnissen ins Zentrum.» Sie berichteten von den Fokusgesprächen als Basis für die Studie. Diese gingen von den Erfahrungen der Teilnehmerinnen mit hochaltrigen Angehörigen aus, weil diese die Wünsche fürs eigene hohe Alter prägen. Die Gespräche entwickelten sich aus den drei Szenarien Wohnen, Betreuung und Pflege, Demenz.

Pflege und Betreuung durch Fachpersonen

Im Hinblick auf die Wohnsituation wünschten sich die Teilnehmerinnen an den Fokusgesprächen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben, was nicht ohne Unterstützung gehe. Einig waren sie sich auch: Sie möchten von Fachpersonen und nicht von Angehörigen gepflegt werden. Diese möchten sie nicht belasten und den erwachsenen Kindern weiterhin auf Augenhöhe begegnen. Es fehlten häufig Vorstellungen, wer Betreuungsarbeiten wie Einkaufen, Gartenarbeiten, Begleitung zum Arzt usw. übernehmen könnte. Deshalb wurde gewünscht, dass künftig vermehrt in professionelle Dienste und weitere Angebote, zum Beispiel der Nachbarschaftshilfe, investiert wird.

Schwieriger fiel es den meisten Frauen, Wünsche zu einer allfälligen Demenzerkrankung und zum Lebensende zu formulieren. Der Verlust der Entscheidungsfähigkeit macht Angst. Die Frauen wollen auch in dieser Situation als individueller Mensch wahr- und ernstgenommen, nicht vernachlässigt und alleingelassen werden.

Gemäss Marie-Louise Barben zeigte sich eindrücklich: Für die meisten Menschen steht die Selbstbestimmung im Zentrum. Sie haben grosse Mühe mit Abhängigkeit, obwohl sie eine Alltagserfahrung ist. Deshalb gelte es, eine Balance zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit zu finden: «Im Austausch miteinander sollten wir eine Haltung gegenüber den Zumutungen des Lebens entwickeln.»

Marie-Louise Barben, Jessica Schnelle und Elisabeth Roter im Gespräch.
Marie-Louise Barben, Jessica Schnelle und Elisabeth Roter im Gespräch.

Unterstützung in der Nachbarschaft

Wie Menschen im Alltag zuhause unterstützt werden können, zeigte Simone Stirnimann an dem von ihr geleiteten Projekt «Nachbarschaft Bern. Unterstützung im Quartier» auf. Das vom Kompetenzzentrum Alter der Stadt Bern lancierte Projekt leistet Unterstützung für Aktivitäten am internationalen Tag der Nachbarschaft, wo Menschen einander begegnen und kennenlernen können. Vor allem bringt es Freiwillige mit Menschen zusammen, die im Alltag Unterstützung brauchen. Es zeigt sich allerdings auch dort, dass viele Menschen Mühe haben, um Unterstützung nachzufragen. Wichtig seien deshalb die Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung mit den lokalen Organisationen.
Weitere Informationen unter www.nachbarschaft-bern.ch

Welche Hilfe kann ich annehmen und von wem?

Mit dieser Frage setzten sich die Teilnehmerinnen angeregt in Gruppengesprächen auseinander. Ausgangspunkt war ein Unfall mit vorübergehenden Einschränkungen im Alltag. Die Konfrontation mit einer jederzeit möglichen Abhängigkeit löste Abwehr, Schock, Frust und Angst aus. Die Frauen fürchten sich vor dem Wegfall der Wahlmöglichkeit und möchten keine Zumutung für andere sein. Viele äusserten ihre Mühe, Hilfe anzunehmen, sei es doch ein Zeichen eigener Schwäche. Einfacher sei dies bei professioneller und bezahlter Hilfe der Spitex oder bei Angeboten, die auf andere Weise abgegolten werden. Im Alltag zuhause brauche es meistens Unterstützung von verschiedenen Personen: Partner, Freunden, Familie, Nachbarschaft, ein Management sei gefordert. Neben vielen anderen Vorschlägen wurde angeregt, sich durch die Wohnsituation, die Pflege von Beziehungen und den Aufbau eines guten persönlichen Netzwerkes rechtzeitig auf eine solche Situation vorzubereiten.

Unterstützung für weitere Gespräche

Projektleiterin Anette Stade betonte die Bedeutung von Gesprächen zu Wünschen und Erwartungen im hohen Alter zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit. So könne ein Bewusstsein geschaffen werden für eine Situation, von der wir selber noch nicht betroffen sind. Deshalb biete die GrossmütterRevolution unter www.grossmuetter.ch Unterstützung für Personen, die ein Fokusgespräch organisieren oder daran teilnehmen möchten. Bei der gleichen Adresse könnten auch der Bericht und die Kurzfassung der Studie bestellt werden.

Jessica Schnelle freute sich über die spürbare Energie der versammelten Frauen: «Diese ist nötig für den Dialog, wie wir in Zukunft in unserer Gesellschaft mit Fragen der Hochaltrigkeit umgehen, wenn nicht die Kosten, sondern die Lebensqualität der Menschen im Zentrum stehen soll.»

Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Hochaltrigkeit holte die Rockband der GrossmütterRevolution, «Crème brûlée», die Anwesenden mit ihren beschwingten Melodien und Rhythmen zurück in die Gegenwart. Manche Frauen hielt es nun nicht mehr auf ihren Stühlen. Sie genossen das Tanzen und freuten sich nach dem Nachdenken über eine mögliche Zukunft am Heute.

Crème brûlée beim Auftritt.
Crème brûlée beim Auftritt.

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