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​Ein wichtiges Fest für die Ukrainerinnen

Text und Fotos: Monika Fischer

Am 24. April 2022, findet das orthodoxe Osterfest statt. Für manche geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer mag es viel bedeuten, dieses auch weit weg von der Heimat zu feiern.

Während der Jahre unserer Projektarbeit für Parasolka in Transkarpatien/Ukraine (→ parasolka.ch) wollte ich mich nicht ausschliesslich auf das Behindertenwesen konzentrieren. Um die Menschen vor Ort besser zu verstehen, wollte ich auch ihr Leben mit ihrer Geschichte, ihrem Brauchtum und ihren Traditionen kennen lernen. Trotzdem oder weil die Ausübung der Religion während der Sowjetjahre bis 1991 verboten war, werden vielerorts die kirchlichen Festtage besonders intensiv gepflegt.

Einfaches Leben auf dem Land
Gerne nahm ich die Einladung von Maria an, das orthodoxe Osterfest im Dorf Sabrud mit ihrer Familie zu verbringen. Ich hatte sie bei ihrer Arbeit im Kinderheim Vilshany im abgelegenen Tal der Tereblja in der Westukraine kennengelernt. Sie arbeitet dort als «Sanitarka» und ist in einem Raum für 12 – 14 Kinder mit Behinderung verantwortlich. Obwohl wir uns mit Worten nicht verständigen konnten, funktionierte die nonverbale Kommunikation auf Anhieb. Und doch war ich froh, dass ihre Tochter Mariana in der Schule Deutsch gelernt hatte.
Maria lebte damals mit fünf Töchtern und zwei Söhnen (ein Sohn war früh gestorben) in einem unverputzten Backsteinhaus direkt an der Strasse. Ihr Mann hatte wie die meisten Männer und manche Frauen aus Transkarpatien sein Geld mit einer Saisonarbeit im Ausland verdient. Vor ein paar Jahren war er an einem tragischen Unfall gestorben. Im Wohnhaus gab es weder Wasser noch sanitäre Anlagen, geheizt wurde im Winter mit Holz. In einem niedrigen Bau befanden sich neben den einfachen Ställen für Kuh und Schwein die Toilette und die Sommerküche. Meistens hielt sich die ganze Familie in diesem Raum auf. Das vom Brunnen geholte Wasser wurde in zwei grossen Kesseln aufbewahrt, von denen der eine beheizt wurde.

Vorbereitungen auf das Osterfest
Es war für mich gewöhnungsbedürftig, am Morgen das Wasser zum Waschen und Zähneputzen aus dem Kessel zu schöpfen. Ich verzichtete aufs Duschen und Haare waschen. Denn es herrschte auch sonst in der Grossfamilie schon emsiger Betrieb. Während die Erwachsenen seit Wochen fasteten, kein Fleisch und keine Milchprodukte zu sich nahmen, wurde seit Tagen für das Osterfest fleissig gekocht und gebacken. Einmal half die eine, dann eine andere Tochter der Mutter, wenn diese von der Arbeit im Kinderheim heimgekehrt war. Die Vorratskammer füllte sich nach und nach mit verschiedensten Salaten und Gerichten sowie Platten voller gebackener Süssigkeiten. Besonders wichtig war Maria die Vorbereitung des Osterkorbes. Sorgfältig legte sie am Karsamstag das kunstvoll verzierte Osterbrot in den Korb. Nachdem dieser mit einer hausgemachten Wurst, Eiern, einer kleinen Schale Salz, jungem Knoblauch, den ersten Radieschen, Butter und Frischkäse gefüllt war, wurde er mit einem Tuch bedeckt.

Maria und die jüngste Tochter Anja mit dem vorbereiteten Osterkorb.
Maria und die jüngste Tochter Anja mit dem vorbereiteten Osterkorb.

Der Ostergruss: «Christos woskres»
Da Maria in der Osternacht Dienst im Kinderheim hatte, begleiteten mich Mariana und die kleine Anja zum Gottesdienst, der mehrere Stunden dauerte. Ich musste dazu ein Kopftuch und auch einen Rock anziehen. Gegen elf Uhr machten wir uns auf den Weg. Auf der Strasse mussten wir aufpassen, in der Dunkelheit wegen der Schlaglöcher nicht zu stolpern. Mit uns waren auch viele andere mit ihrem Korb unterwegs. Nach einer knappen halben Stunde hörten wir von weitem den festlichen Gesang und hatten bald die Dorfkirche erreicht. Sie war voller Menschen. Wir hatten keine Chance einzutreten und stellten uns mit dem Korb zu den vielen andern, die die Kirche in mehreren Reihen hinter den Osterkörben umringten. Viele Kerzen brannten, als der Priester vorbeikam und die Körbe mit einem Palmwedel und Weihwasser segnete.
Bei der Heimkehr durch die noch immer dunkle Nacht riefen uns die Vorübergehenden den Ostergruss zu: «Christos woskres» (Christus ist auferstanden). «Wojistynu soskres» (Wahrhaft ist er auferstanden), ertönte die freudige Antwort von allen Seiten.
Nachdem Maria am Ostersonntag von der Arbeit heimgekehrt war, setzte sich die Familie an den reich gedeckten Tisch. Während ich schon bald genug hatte, wurde ein schöner Teil der vorbereiteten Speisen aufgegessen. Kein Wunder, dass es so manchem am Abend schlecht war!
Am Ostermontag war ich überrascht, dass sich die Menschen auf der Strasse und in den Läden immer noch den Ostergruss zuriefen.

In der Osternacht warten die Menschen vor der vollbesetzten Dorfkirche mit ihren Osterkörben auf den Segen des Priesters.
In der Osternacht warten die Menschen vor der vollbesetzten Dorfkirche mit ihren Osterkörben auf den Segen des Priesters.

Wo die Hilfe besonders nötig ist
Zwölf Jahre sind seit dem eindrücklichen Erlebnis vergangen. Ob wohl Maria (62) in diesem Kriegsjahr den Osterkorb auch vorbereiten wird? Möglicherweise haben die zahlreichen geflüchteten Menschen aus dem Osten inzwischen den Weg ins abgelegene Tal und in ihr Haus gefunden. Vieles hat sich auch sonst für die elffache Grossmutter verändert. Sie wohnt mit ihrer Mutter meistens allein im grossen Haus. Fast alle Kinder sind verheiratet. Sie arbeiten im Ausland, wo einige auch fest wohnen. Einzig eine Tochter, deren Mann in Tschechien Saisonarbeit leistet, wohnt mit ihren zwei Kindern im gleichen Dorf.
Maria arbeitet nach wie vor im Kinderheim und versorgt daneben die Tiere und den grossen Gemüsegarten zur Selbstversorgung. Die Kinder rufen sie täglich an und drängen sie, das Land wegen des Krieges zu verlassen. Maria hat bisher immer abgelehnt. Sie werde jetzt bei der Arbeit im Kinderheim dringend gebraucht, sind doch dort zu den 180 Mädchen und Buben noch weitere 34 zum Teil schwer behinderte Kinder aus den Kriegsgebieten aufgenommen worden. Die Waisenkinder in Vilshany sind Maria ebenso ans Herz gewachsen wie die eigenen Kinder und Enkel.

Maria bei Ihrer Arbeit im Kinderheim Vilshany,
Maria bei Ihrer Arbeit im Kinderheim Vilshany,
wo jetzt auch noch vor dem Krieg geflüchtete Kinder auf ihre Hilfe warten.
wo jetzt auch noch vor dem Krieg geflüchtete Kinder auf ihre Hilfe warten.

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