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Agil bleiben im Alter

Telsche Keese

Als ich nach der Familien- und Berufsarbeit mit 65 Jahren frei von Pflichten war wie nie zuvor in meinem Leben, fragte ich mich: «War das alles, was du kannst?» Das dritte Lebensalter war gekommen, ich durfte endlich Zeit für mich allein beanspruchen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte für mich stets der Satz gegolten: «Zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen.» Jetzt war dafür Zeit. Ich fragte mich:« Was könntest du Neues ausprobieren? Kennst du deine Begabungen, und hast du sie genutzt?» Ich fand, Mutter zu sein könne doch jede Frau. Dass es keinesfalls so ist, wurde mir sehr spät bewusst.

(Fortsetzung)

Bei allem, was ich mit drei Kindern geleistet hatte, empfand ich einen Mangel. Ich hatte das Gefühl, mich nicht genügend entwickelt zu haben, kein Selbstvertrauen zu haben, nicht zu wissen, was sonst noch in mir steckte. Dieses Ungenügen hatte lange in mir rumort. Ich machte meine Teilzeitarbeit dafür verantwortlich. Sie hätte mir nicht genug Gelegenheiten gegeben, mich auszuprobieren. Deshalb bewunderte ich die vollberuflich tätigen Frauen ganz besonders. Mir war allerdings nicht bewusst, dass auch bei ihrer Berufstätigkeit viele auf persönliche Wünsche verzichten mussten. Ich fand aber, dass sie stärkere Anerkennung erhielten als eine «Nur-Hausfrau».

Die Zeiten haben sich geändert, und die jüngste Generation beweist mir, dass sie zum Glück ein stärkeres Selbstbewusstsein hat, aber dann andere Probleme als ich. Sie werden ihre eigenen Erfahrungen machen.

Ich träumte zu Beginn meiner Pensionierung verschwommen von freiberuflicher Arbeit. Aber nachdem ich mich mit 35-40jährigen Berufstätigen in einem Weiterbildungskurs für Kulturkommunikation messen wollte, scheiterte ich als erstes daran, dass ich als einzige mit dem Computer nicht umgehen konnte. Ich musste allen Mut zusammennehmen, meinen Bericht zu einer Ausstellung per Hand zu schreiben und ihn als Kopie auszuhändigen, während ein Drucker leise die makellos gedruckten Blätter der anderen TeilnehmerInnen ausspuckte. Es bedeutete Stress und Unsicherheit und im Hinterkopf pochte der oft von meiner Mutter mir gegenüber geäusserte Satz: «Was meinst du, wer du bist» oder: «Davon verstehst du nichts.»

Dieses Gefühl von Unsicherheit, nicht zu genügen, hat sich in vielen Köpfen von Frauen bis heute hartnäckig gehalten. Ich begegnete ihm in Lesegruppen, wenn es darum ging, eine Zusammenfassung zu schreiben oder vor allen vorzutragen. Sogar Elke Heidenreich bekannte kürzlich: «Jede Frau, die wie ich in der Öffentlichkeit arbeitet, weiss, wieviel Kraft und Selbstbewusstsein nötig sind, für sich selbst einzustehen. Sobald ich selbstbewusst auftrete, werde ich oft hart ausgebremst.»

Es ist nicht nötig, sich im Ruhestand selbst zu beweisen. Wer sich zurücklehnen will, um nichts mehr zu müssen, sollte es tun und einfach das Leben geniessen, warum denn nicht? Für mich war das nicht das Richtige.

Ich wollte dranbleiben und weiterhin aktiv sein, solange es geht. Ich halte mich fit und suche meinem Alter entsprechend Tätigkeiten, die sinnvoll für mich sind und Freude bringen. Ich singe weiter im Chor, habe herausgefunden, dass ich lieber Cello gelernt hätte als Klavier, und es stört mich nicht, wenn Freundinnen schmunzeln, dass ich Jodeln lerne auf meine alten Tage.

Ich entdeckte meine Liebe, zu dichten und zu formulieren, indem ich es ausprobierte und fand, dass es mich zufrieden macht. Anderen Menschen in ihrer vielfachen persönlichen Ausprägung zu begegnen, habe ich als Gewinn für meine eigene Weiterentwicklung entdeckt. Wenn ich mich öffne und von meiner Lebenserfahrung als Mitglied eines Generationen-Projekts beim gemeinsamen Arbeiten erzähle oder ich Jüngeren zuhöre, wie sie ihre Zeit erleben, dann bleibe ich lebendig. Kontakt mit meiner Altersgruppe aber auch mit Jüngeren zu haben, heisst für mich Teilhabe am Leben, dass ich gesehen werde und nicht einfach unsichtbar werde als nun 84jährige Frau.

Meine 91jährige Freundin, schreibt jeden Abend Briefe an einsame Heimbewohnerinnen, besucht regelmässig zwei psychisch kranke Erwachsene und denkt an ihre Geburtstage. Teilhabe zeigt sich hier unauffällig, aber in zutiefst menschlicher Weise.

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