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Der zu einem Knäuel verdichtete Lebensfaden

Es war für Johanna Näf eine Herausforderung, zu ihrem künstlerischen Schaffen zu stehen und es öffentlich zu zeigen.
Es war für Johanna Näf eine Herausforderung, zu ihrem künstlerischen Schaffen zu stehen und es öffentlich zu zeigen.

Text und Foto: Monika Fischer

Relativ spät entdeckte Johanna Näf (77) ihre Berufung zur Kunst. Umso rascher setzte sie sich durch. Seit 1989 ist sie an Ausstellungen mit Zeichnungen, Malereien, Fotogrammen, Druckgrafiken usw. in der ganzen Zentralschweiz präsent und hat zahlreiche Werke im öffentlichen Raum und am Bau realisiert. Ihre vielfältigen Arbeiten zeichnen sich durch Eindeutigkeit und die Fokussierung auf das Wesentliche aus. Dies gibt ihnen eine grosse Kraft in der Wirkung, verleiht ihnen etwas Zeitloses und auch Spielerisches. Die ehemalige Blockflötenlehrerin, Hausfrau und Mutter erzählt, wie sie zu ihrer eigenständigen Sprache und prägnanten Formfindung gefunden hat.

(Fortsetzung)

Bunte Farben machen am grossen Fenster in der Tribschenstadt in Luzern auf ihr Atelier aufmerksam. «Es war ein Glücksfall, wohne ich doch gleich im Haus nebenan.» Das Strassenschild «Cécile Lauber-Gasse» fällt auf. Es ist eine der wenigen, nach einer Frau benannten Strassen. «Glück hatte ich auch mit einem pensionierten Paar. Sie haben alle meine Arbeiten geordnet, beschriftet, katalogisiert und archiviert. So muss ich dies nicht meinen Söhnen überlassen», meint Johanna Näf erleichtert.

Handwerkerin
In ihrem hohen, hellen Atelier stehen auf einem Gestell Objekte und Modelle für ihre Plastiken. Die Werke an Wänden und in Schubladen geben Einblick in ihr vielseitiges Schaffen. Sie erzählt, wie ihre Fotogramme entstehen. In der Dunkelkammer legt sie Gegenstände (Plastiksäckchen, Papier usw.) auf eine Unterlage, belichtet und entwickelt sie, koloriert die entstandenen Fotos von Hand und zieht sie auf einen Holzrahmen auf. «So entsteht eine neue Wirklichkeit». Oder sie fügt viele kleine Bilder mit minimen Unterschieden zu einem grossen zusammen, was eine Lebendigkeit bewirkt.
«Eigentlich bin ich eine Handwerkerin. Es reizt mich, immer wieder Neues auszuprobieren, herausfinden, wie etwas Gestalt annimmt, welche Wirkung mit Farben und Formen erzielt werden kann. Damit ist immer auch eine Auseinandersetzung mit der Technik verbunden, mache ich doch alles selber.» Wenn sie eine Idee hat, bleibt sie geduldig und beharrlich dran, knobelt und knübelt, bis das Werk für sie stimmt. Davon zeugen zum Beispiel die filigranen Wandfalter aus Fournierholz, wie zum Abflug bereit. Durch ihre immer wieder neuen Ideen ist eine Fülle von Werken entstanden, die zwei Keller füllen.

Aus Abhängigkeiten befreit
Ähnlich wie ihre Werke hat sich ihr Leben organisch entwickelt. Johanna macht nicht grosse Worte. Vieles hat sich selbstverständlich ergeben. In Stans ist sie als Hanna Lässer als zweitältestes von sechs Kindern aufgewachsen. «Das Handwerkliche habe ich von den Eltern: der Vater war Spengler, die Mutter Schneiderin. Sie konnten aus nichts etwas machen.» Als die Familie nach Reussbühl zog, hatte sie die 2. Sek abgeschlossen. Der Vater fand, eine Ausbildung sei nicht nötig, sie heirate sowieso mit 20. Vielmehr solle sie arbeiten gehen und Geld heimbringen. Sie fügte sich und arbeitete als Verkäuferin in einer Papeterie. Und doch wollte sie etwas lernen und loskommen von daheim. Da ihr offener Widerstand nicht liegt, hat sie sich still durchgesetzt. Sie absolvierte die Freis’s Handelsschule, weilte ein Jahr als au pair in London und arbeitete als Sekretärin im Personalamt der Stadt Luzern. Doch schaffte sie es bis zu ihrer Heirat 1968 nicht, von zuhause fortzukommen. «Die Mutter wollte mich aus purem Egoismus nicht gehenlassen. Mit den Worten, sie sei allein, wenn sie wie die Geschwister gehe, hat sie mir ein schlechtes Gewissen angehängt.»

Hausfrau und Mutter
Sie bemerkte wohl, dass die Frauen weniger Rechte und Möglichkeiten hatten und die Männer dominant waren. Die Mutter konnte nichts machen ohne Einwilligung des Vaters und hatte kaum eigenständige Bedürfnisse. Dies änderte sich auch mit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 nicht. Johanna kannte nichts anderes, hat wenig hinterfragt und nach der Heirat und dem Umzug nach Zug wie selbstverständlich die Rolle der Hausfrau und nach der Geburt der Söhne 1973 und 1976 auch jene der Mutter übernommen. Allerdings war ihr wichtig, stets auch in einem kleinen Pensum ausserhause zu arbeiten. Zuerst wieder als Sekretärin, dann nach der Ausbildung in musikalischer Früherziehung 10 Jahre an der Musikschule in Zug als Blockflötenlehrerin. Dies klappte gut mit der Unterstützung einer Babysitterin.

Künstlerin
Seit jeher hat sie gerne gezeichnet und gestaltet und mit ihrem handwerklichen Geschick Verschiedenes ausprobiert. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung besuchte sie 1979 – 82 die F + F Schule für experimentelle Gestaltung in Zürich. Den Raum für eigenes Schaffen fand sie in einem alten Fabrikgebäude. Fünf Jahre später gründete sie mit einem Grafiker und einer Textildesignerin die Ateliergemeinschaft LAPSUS in Zug und schätzte den Austausch auch in der Vereinigung der Zuger Künstlerinnen und Künstler.
1990 lernte sie in einem Praktikum im Bildhaueratelier des Zugers Bruno Scheuermeier das Verarbeiten von Metallen, vor allem das Schweissen. So verfügte sie über Kenntnisse von Material und Technik, obwohl sie später die Grossplastiken nicht selber ausführte. Im gleichen Jahr wurde sie Mitglied der GSAMBA, heute Visarte Zentralschweiz.

Bestätigung und Selbstvertrauen
1992 leitete Johanna Näf das Ausstellungprojekt «Weg der Frau – ein Dialog» im alten Kunsthaus Zug. Damit wollten die Verantwortlichen das oft verborgene Schaffen von Künstlerinnen bekannt machen. Johanna hat als weibliche Kunstschaffende keine Nachteile erfahren. Hingegen war sie überrascht, mit welchen Emotionen von Neid und Eifersucht Kolleginnen reagierten, wenn sie im Gegensatz zu ihr in einem Wettbewerb nicht reüssieren konnten. Gross war ihre Freude, als sie auf Wikipedia ihre aufgelisteten Einzel- und Gruppenausstellungen entdeckte. Sie hatte vom Projekt junger Frauen gehört, welche die Leistungen von Frauen vermehrt sichtbar machen und würdigen wollen.
Es war für Johanna Näf eine Herausforderung, zu ihrem Schaffen zu stehen und es öffentlich zu zeigen. Bestätigung und Auftrieb gab ihr die erste Einzelausstellung im Salzmagazin Stans (Dezember 96 bis Januar 97). Sie meldete sich für Wettbewerbe und bekam erstaunlich schnell öffentliche Aufträge und Einladungen für Ausstellungen. «Dies bestärkte mich in meinem Schaffen und gab mir Selbstvertrauen. Auch die Analyse der Juryberichte brachten mich weiter.»

Objekte im öffentlichen Raum
Bei ihren Objekten lässt sie sich von der Landschaft oder vom Raum und seiner Bedeutung für die Menschen inspirieren. Für die Neugestaltung des Bahnhofplatzes Luzern schuf sie die zwei Platten «Grabungsfelder». «Vielleicht Symbole für Mann und Frau, unterschiedlich, und doch gleichberechtigt.» Beim Korpus im Vorraum des Rathaus Menzingen hat sie in den leicht gerundeten Korpus, zeichenhaft die Aufgaben der Gemeinde eingefügt. Bestechend klare, abgerundete Formen hat das pinkfarbene «Rhinos» aus poliertem Kunststein auf einem Kinderspielplatz in Baar. Das «Wassertor» aus Eisen in Buochs öffnet den Blick in die Weite. Die Tapete in der Aufbahrungshalle in Allenwinden/Baar schafft im Zusammenspiel von Hell und Dunkel eine stimmungsvolle Atmosphäre.

Auch finanziell unabhängig
Johanna Näf konnte das freie künstlerische Schaffen gut mit der Familienarbeit verbinden.
Doch störte sie es mehr und mehr, dass ihr Mann ihr die ganze Hausarbeit überliess. Sie wusste: «Ich muss gehen, wollte ich doch nicht länger abhängig sein.» Doch wollte sie warten, bis der jüngere Sohn volljährig war. Um genügend Einkommen zu haben, bildete sich zur Lehrerin für bildnerisches Gestalten an der Oberstufe aus und unterrichtete das Fach 1994–2004 in Unterägeri. 1996 zog sie aus und nahm sich eine kleine Wohnung in Zug.
Auf der Suche nach einem weiteren Horizont kam sie mit 60 nach Luzern. Neue Horizonte eröffneten sich ihr ebenfalls durch die Atelierstipendien des Kantons Zug in Berlin 1999 und 2018. «Ich nehme meine Umwelt über die Augen wahr und genoss das Leben in der pulsierenden Grossstadt. Neben Inspirationen und Ideen für meine Arbeit fand ich dort neue Freunde, sodass ich wenn möglich jedes Jahr hinreise.»

Farben als Ausdruck von Freude und Elend
Besonders eindrücklich war für sie der halbjährige Atelieraufenthalt in Varanasi/Indien 2007, ermöglicht durch die Schweiz. Städtekonferenz für Kulturfragen. «Es war eine grosse Chance nach der Pensionierung an der Schule. Ich tauchte ein in die mir fremde indische Kultur. Die geschäftigen und handwerklichen Fähigkeiten der Menschen beeindruckten mich zutiefst.» Sie berichtet vom Nebeneinander der Licht- und Schattenseiten des realen Lebens, für das sie viel Verständnis aufbringen musste. Verarbeitet hat sie dies in grossformatigen Werken mit doppeltem Planpapier: Auf dem einen Blatt sind es runde Formen in verschiedensten Farben als Ausdruck des bunten Lebens in den Strassen, auf dem anderen Blatt gestempelte graue Flecken als Symbole der Wirklichkeit.

Auch im Alter nicht müde
Neben der Arbeit im Atelier besucht Johanna Näf Ausstellungen, spielt Boule und schätzt die Zeit mit ihrer Familie. Als vierfache Grossmutter hütet sie jede Woche ihre Enkel. Das Alter ist für sie wohl körperlich spürbar, alles gehe etwas langsamer. Nicht versiegt sind die Ideen, die Lust am Experimentieren und Ausprobieren. «Ich kann nicht aufhören, sondern möchte weiterhin Ideen aus- und mit neuen Techniken weiterführen, solange ich kann und mag.»
An der 2017 von Luzern60plus organisierten Ausstellung im Luzerner Rathaus zum Thema «Lebensreise-Kreativität -Weiblichkeit-Alter» zeigte Johanna Näf die Grosskulptur einer Spindel und fasste dazu in der zur Ausstellung herausgegebenen Broschüre ihr Schaffen als Künstlerin wie folgt zusammen: «Die Spindel ist zunächst mal einfach eine ansprechende Form, ein schönes Handwerk. Ich habe das Modell dafür, die kleine Holzspindel, in einem Brockenhaus entdeckt. Durch die Vergrösserung und Materialisierung in Aluminium ist sie nicht bloss eine Kopie, sondern sie erhält eine eigene Qualität in ihrer Aussage. Sie beinhaltet etwas Spielerisches, erweckt Kindheitserinnerungen an das Abspulen und das Aufspulen von Wollknäueln. Sie ermöglicht aber auch Assoziationen zur Lebensreise – an den Lebensfaden, der sich zum Knäuel verdichtet.»www.johannanaef.ch

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