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​Was Corona mit mir macht

Marianne Stohler

Ich bin 75 Jahre alt, und grundsätzlich geht es mir gesundheitlich recht gut. Ich bin noch aktiv, engagiere mich an mehreren Orten: beim Kinderhüten, in einem Schreibdienst, bei der GrossmütterRevolution in verschiedenen Arbeitsgruppen, in der SP etc.. Daneben versuche ich, meinen Freundeskreis nicht einschlafen zu lassen und halte Kontakt zu Freunden im In- und Ausland. Und jetzt beeinträchtigt seit fast zwei Jahren Corona unser Leben.

(Fortsetzung)

Mein Mann und ich hatten im Sinn, noch an einige Orte zu reisen, so lange wir dazu noch fähig sind. Wir hatten Lust, Gäste einzuladen, uns aktiv in Kultur und Gemeinde zu engagieren. Wir fühlen uns nicht als Alte, die man beschützen muss und die den Freiraum der Jungen einschränken. Wir fühlen uns noch voll Power, haben aus unserem Erfahrungsschatz durch ein engagiertes Berufsleben noch einiges beizutragen in der Gesellschaft. Da ist nichts von Rückzug ins Private.

Corona hat alles unterbrochen. Auslandreisen sind nur noch schwer möglich, viele Sitzungen und Anlässe sind abgeblasen oder finden virtuell statt. Bei allen Unternehmungen stellen sich die Fragen: Sollen wir das noch machen, oder ist es zu gefährlich? Sollen wir unsere Freunde noch sehen, und wenn ja, wo und auf welche Weise?

Da wir keine Kinder haben, sind wir sehr auf Kontakte angewiesen. Es gibt keinen Rückzug in die kleine engere Familie, niemanden, der sich um uns sorgt. Nie habe ich die Lücke, keine Kinder zu haben, so hautnah gespürt wie jetzt. Viele meiner Freundinnen sind im Rahmen ihrer Familie aufgehoben, fühlen sich unterstützt und getragen, während wir alleine auf uns angewiesen sind.

Bei all dem können wir froh sein, dass wir zu zweit und nicht ganz alleine sind. Ich denke oft an die Alleinstehenden ohne Kinder, die ganz auf sich selbst angewiesen sind.

In dieser Coronazeit werden auch meine Ängste im Hinblick auf das Alter viel drängender. Was ist, wenn ich nicht mehr selbständig bin, wenn ich auf Hilfe angewiesen bin?

In meinem politischen Bewusstsein weiss ich, dass wir privilegiert sind, dass ich in einem Land mit einem intakten Gesundheitswesen lebe, dass ich keine existentiellen Ängste haben muss. Trotz diesem Wissen geht es mir nicht besser, im Gegenteil: Dieses Wissen macht mir ein schlechtes Gewissen, wenn mich Ängste plagen und ich deprimiert bin.

Mir fehlen die vielfältigen Engagements. Wohin mit all der Power, die ich noch in mir spüre? Das Covid-Zertifikat brachte zwar einiges an Erleichterungen, aber die Infektionszahlen wachsen wieder und verunsichern.

Was bleibt, sind die Wanderungen in die Natur. Daraus schöpfe ich Kraft. Ich werde quälende Gedanken los, wenn ich mich bewege, raus gehe oder meine Gymnastikstunden auf youtube absolviere. Dann verschwinden die belastenden Gedanken oder sie relativieren sich, weil ich gezwungen bin, mich ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren.

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