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Fasnacht

An der Chesslete in Solothurn faszinieren die Fasnächtler, die im weissen Nachthemd, mit Zipfelmütze und kariertem Schal durch die Stadt marschieren, um mit grossem Lärm den Winter zu vertreiben.
An der Chesslete in Solothurn faszinieren die Fasnächtler, die im weissen Nachthemd, mit Zipfelmütze und kariertem Schal durch die Stadt marschieren, um mit grossem Lärm den Winter zu vertreiben.

Texte: Irmgard Bayard, Marianne Stohler, Monika Fischer
Fotos: Familienarchive

Sich verkleiden, in eine andere Rolle schlüpfen, intrigieren, ausgelassen feiern und tanzen: Das vielfältige, meist männlich geprägte Brauchtum der Fasnacht in Basel und in katholischen Kantonen fasziniert viele Menschen. Es gab früher jedoch auch Traditionen, die heute angesichts des damaligen Weltbildes Entsetzen auslösen, sodass sich Beteiligte heute nur mit Scham daran erinnern.

(Fortsetzung)

Chesslete in Solothurn
Irmgard Bayard

Als ich Kind war, also in den 50er- und 60er-Jahren, gab es in unserem Wohnort Zuchwil noch keine Fasnacht. Für dieses Spektakel gingen wir in die nahe gelegene Stadt Solothurn, von unserem damaligen Zuhause aus nur gerade eine halbe Stunde Fussmarsch. Die Fasnacht begann damals wie heute noch mit der Chesslete am Donnerstagmorgen. Ein ungeschriebenes Gesetz lautet: Vor 05:00 Uhr darf nicht gelärmt werden. Mein Bruder und ich wurden also von unserem Vater - einem waschechten Solothurner - darauf eingeschworen, die Plämpel der Glocken mit der einen Hand festzuhalten, damit ja kein Mucks zu hören war. So marschierten wir voller Vorfreude zu den zahlreich wartenden Menschen im Stadtzentrum, die dann ab Kommando im weissen Nachthemd, Zipfelmütze und kariertem Schal durch die Stadt marschierten, um mit grossem Lärm den Winter zu vertreiben. Anschliessend gab es die obligate Mehlsuppe, für einige im Restaurant, für uns drei zu Hause.

Der Fasnachtsumzug am Sonntag und am Dienstag, die Stadtbesuche, an denen wir uns verkleiden durften, sowie die Uslumpete am Aschermittwoch mit Bööggverbrennen waren dann nur noch Zugaben. Denn die Chesslete war halt schon das A und O und wurde von uns Kindern auch als Teenager und während der Lehre fortgesetzt – dann allerdings etwas weniger seriös als noch mit dem Papi an der Seite…

Fasnacht
Text und Foto: Marianne Stohler

Fasnachtserinnerungen aus der Kindheit habe ich wenige. Ich erinnere mich nur noch, dass wir oft am Fenster im Büro meines Vaters standen und von dort, aus erhöhter Warte, den Umzug beobachteten. Ich erinnere mich an unzählige Orangen und Blumen, die von den vorbeiziehenden Waggiswagen durch das Fenster geworfen wurden. Da mein Vater in Basel eine bekannte Persönlichkeit war, kannten ihn viele der Fasnächtler. Wir Kinder genossen dann anschliessend den frisch gepressten Orangensaft.
Oft waren wir während der Fasnacht mit meinen Eltern in den Ferien im Bernbiet, und später nutzten wir die freie Woche zum Ski fahren.

Das änderte sich, als ich die Grossmutter der Kinder meiner Nichte wurde. Die Kleinen lieben die Fasnacht, und schon der Zweijährige hatte das Wort «Waggiswagen» schnell als Synonym für die Fasnacht in seinem Wortschatz.
Die Frösche (das Kostüm der drei Älteren) gefällt den Fasnachtstreibenden. So erhalten die Kinder während des Umzugs eine Riesenmenge «Täfeli», Früchte, kleine Stofftiere etc. Die Kinder haben noch wenig Augen für die unerhörte Vielfältigkeit der Cliquen, ihre Sujets, die originellen Kostüme und die beliebten Fasnachtsmärsche. Sie schreien weiter bis zur Erschöpfung, schmeissen Räppli durch die Luft und erwarten mit Ungeduld den nächsten Waggiswagen. Die drei Frösche halten den ganzen Nachmittag durch. Es ist dunkel, als wir uns dann endlich auf den Heimweg machen.

Fast nicht zu glauben
Monika Fischer

Wie stolz war ich, als kleines Biedermeierchen mit einem Reifrock herumzustolzieren und bewundert zu werden! Als Schülerin machte ich mich mit meinem Bruder mitten in der Nacht mit einer aus einer Schuhschachtel gebastelten Maske und einer Rätsche in der Hand zu Fuss auf den Weg an die «Tagwache» nach Luzern. Dort genoss ich den Lärm und das bunte Treiben in der Menge in vollen Zügen.

Eine andere Erinnerung erfüllt mich jedoch heute mit Scham und Unverständnis. Ich hätte es verdrängt, wenn mir nicht ein altes Foto in die Hände gekommen wäre: Zeugnis eines aus heutiger Sicht entsetzlichen Brauchs ausgehend von der damaligen kolonialistischen Haltung. An den Fasnachtstagen war es in unserer Pfarrei Brauch, Geld für die armen Heidenkinder in den Missionen zu sammeln. Die Gesichter der Mädchen, die sich dafür zur Verfügung stellten, wurden von der Pfarrköchin schwarz oder gelb angemalt. Wir bekamen dazu die passenden Perücken und Kleider und lernten ein Lied für unsere Sammeltouren. Mit einer Schulkollegin ging ich im langen farbigen Kleid von Haus zu Haus. Wenn sich die Wohnungstüre geöffnet hatte, sangen wir auf Kiswahili das Lied «Kumpenda Maria» (Maria zu lieben). Wir erklärten, wofür wir Geld sammeln und streckten unser Kässeli hin. Meistens wurden wir wohlwollend aufgenommen und waren überzeugt, etwas Gutes zu tun.

Als sich mein Horizont geweitet hatte, konnte ich fast nicht fassen, in welch engem Weltbild wir uns damals bewegt hatten. Als ich auf meinen späteren Projektreisen durch Uganda und Tansania alle die mutigen afrikanischen Frauen kennenlernte, freute ich mich, sie in ihrem Einsatz für ihre Familien und Bildung unterstützen zu können und so etwas gut zu machen.

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