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Ein Leben für die Allgemeinheit

In einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, konnte sich Lotti Thomi-Schneeberger später zur Pflegehelferin SRK ausbilden lassen und macht nicht viel Aufhebens über ihr vielseitiges Engagement.
In einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, konnte sich Lotti Thomi-Schneeberger später zur Pflegehelferin SRK ausbilden lassen und macht nicht viel Aufhebens über ihr vielseitiges Engagement.

Text und Foto: Irmgard Bayard

«Was wollen Sie, ein Interview machen? Und wozu?» Bei meinem Anruf zeigt sich Lotti Thomi-Schneeberger erstaunt. Das Porträt zeigt, was diese einfache Frau alles geleistet hat. Im Jahr 2014 wurde der erste Oberbipper Preis für ehrenamtliches, soziales Engagement vergeben. Er ging an die heute 89-jährige Lotti Thomi-Schneeberger, die noch heute für andere Menschen im Einsatz ist.

(Fortsetzung)

Als ich ihr erkläre, dass ich für die Frauenweis(s)heiten über ihr Leben berichten möchte, wehrt sie zuerst ab. Einerseits, weil sie nicht weiss, worum es sich dabei handelt, andererseits, weil sie ja niemand Spezielles sei. Dass der Tipp von der örtlichen Pfarrerin kommt, erstaunt sie. «Was hat sie sich jetzt wieder gedacht?», sagt sie, die sich zeitlebens in der Kirche engagierte, und lacht in den Hörer. Wir verabreden schliesslich einen Termin, den sie jedoch zweimal verschieben muss. Einmal, weil ihr etwas Wichtigeres dazwischengekommen ist, einmal, weil eine Beerdigung anstand. Das Treffen kommt schliesslich spontan und kurzfristig zustande. «Jetzt muss ich noch schnell Schmelzbrötchen backen, damit ich euch etwas anbieten kann», sagt sie, bevor sie das Telefongespräch beendet. Wenig Stunden später geniessen wir das Gebäck zum Kaffee.

An der Türe des Wohnhauses kommt uns – mein Mann begleitet mich als Chauffeur – eine sichtlich gut gelaunte Frau entgegen. «Also, was möchten sie jetzt wissen?», fragt die 89-Jährige am Stubentisch. Schnell merke ich, dass sie noch immer aktiv ist, wenn auch weniger, als sie eigentlich gerne möchte. Doch dazu später. Wieviel sie für ihre Wohngemeinde geleistet hat, wurde am 1. August 2014 klar, als sie den ersten Oberbipper Preis für ehrenamtliches, soziales Engagement erhielt.

In armen Verhältnissen aufgewachsen
Aufgewachsen ist Lotti als drittes von sechs Kindern des Ehepaars Franz und Ida Johanna Schneeberger in Rumisberg im Kanton Bern, nahe bei Solothurn. Die ersten Jahre wohnte die Familie über der Dorfgarage in der Nähe der Grosseltern. Als die Besitzer Eigenbedarf anmeldeten, mussten sie umziehen und fanden in Metzger-Hanses Haus im Keller, einem Loch, eine neue Bleibe. Wasseranschluss gab es dort keinen, für die tägliche Körperpflege diente der Dorfbrunnen neben der Durchfahrtsstrasse. «Das Leben war natürlich kein Vergleich zur heutigen Zeit», hält Lotti fest. «Wir waren wohl arm, aber das war nichts Aussergewöhnliches.» 1941 kam sie in die erste Klasse. An etwas Spezielles erinnert sich die vife Frau nicht mehr – oder will sich nicht erinnern. Ausser an eine Brieffreundin, zu der sie auch später noch Kontakt hatte.

Geld verdienen anstatt einen Beruf erlernen
«Ich wäre gerne Krankenschwester geworden», sagt sie zu ihrem Berufswunsch nach der Schule. Auch ins Welschland wie andere Kinder und einige ihrer Geschwister konnte sie nicht gehen. «Es hiess, ich müsse Geld verdienen.» Also kam sie ins Emmental zu einer Familie. «Ich bekam 60 Franken», erinnert sie sich noch an ihren ersten Lohn, den sie natürlich zu Hause abgeben musste. Zwei ihrer Brüder durften eine Ausbildung machen. «Viel später, als wir schon älter waren, dankte mir einer dafür. Er wisse genau, dass er nur eine Lehre machen durfte, weil ich dafür arbeiten ging. Diese Anerkennung hat mich sehr gefreut.»

Eine Schwester durfte nach Genf in eine Familie und wollte, dass Lotti nachkommt. «Ich fand eine Anstellung in der Bäckerei einer Deutschschweizer Familie», erzählt sie von ihrem ersten Kontakt im Welschland. «Dort blieb ich zwei Jahre.» Im Laden hätte sie französisch sprechen sollen, «aber ich hatte Hemmungen.» Auch während dieser Zeit blieb der Wunsch bestehen, den Beruf der Krankenschwester zu erlernen. «Ich hatte jedoch Angst, da ich mir nichts zutraute.» Ihre «Madame» riet ihr, sich doch in der Psychiatrie zu melden, dort seien immer Leute gesucht. Also begann sie in der Rosegg, im Solothurnischen Langendorf zu arbeiten, kehrte jedoch bald wieder zur Familie nach Genf zurück. «Ich traute es mir einfach nicht zu.» Die Kindheit und Jugend ist geprägt von diesem Satz. Erst viele Jahre später arbeitete sie in einem Altersheim, wo sie sich heute noch einbringt.

Von der Buchhalterin zur Pfleghelferin SRK
Nach kürzeren Einsätzen in Haushaltungen fand die junge Frau schliesslich eine Anstellung in der Lagerbuchhaltung in der Firma Scintilla in Zuchwil und bewarb sich anschliessend in der Registratur bei der Zürich Unfall, wo sie zuletzt in der Buchhaltung arbeitete. Darauf ist sie noch heute stolz, wie während des Gesprächs spürbar ist. 1962 heiratete sie Hans Thomi, den sie bei ihrer Gotte kennenlernte. Fortan wohnte sie mit ihrem Mann, einem Geflügelzüchter, in seinem Haus in Oberbipp, wo sie noch heute lebt. 1964, 1967 und 1969 kamen ihre drei Töchter Nelly, Lydia und Silvia zu Welt. «Weil ich zu Beginn der Ehe noch in Solothurn als Aushilfe arbeitete, brachte ich die erste Tochter zu meiner Mutter nach Rumisberg. Danach war ich Hausfrau und übernahm Heimarbeit», beschreibt sie die ersten Jahre im Oberbipp. Mit der Zeit nahm sie eine Stelle als Nachtwache im Dettenbühl, einem Pflegeheim in Wiedlisbach an. «Ich bildete mich mit verschiedenen Kursen weiter und habe es weit gebracht», erzählt sie voller Stolz. Denn mit dem Diplom als Pflegehelferin SRK konnte sie sich den Wunsch, als Krankenpflegerin zu arbeiten, doch noch erfüllen. Allerdings sei diese Zeit sehr hart gewesen, der Schlaf kam zu kurz. Zudem hatte die Familie finanziell zu kämpfen. «Wir waren auf meinen Lohn angewiesen.» Also arbeitete sie fortan bis zu ihrer Pensionierung 1996 im Tagdienst.

1989 musste ihr Mann seine geliebte Hühnerfarm aufgeben, 1990 starb er. Aus dem Stall wurde eine weitere Wohnung, wo heute die eine Tochter wohnt, eine andere lebt im Haus vis-à-vis, und eine Enkelin baut auf dem Land südlich ihres Wohnhauses ein Heim für sich und Lotti Thomis Urenkelin. Dass so viele Familienmitglieder in der Nähe wohnen, sei einerseits sehr praktisch, «aber nicht immer», wie sie augenzwinkernd verrät. «Sie befehlen halt manchmal Sachen, die ich gar nicht will.» Als Beispiel nennt sie das Autofahren. «Die Kinder haben mich dazu gedrängt, den Ausweis abzugeben. Nun muss ich immer jemanden bitten, wenn ich chauffiert werden will.» Etwas, das ihr wenig behagt. «Oder gehe halt zu Fuss.»

Vielseitig engagiert
Zwar wurde Lotti Thomi 1996 gegen ihren Willen pensioniert – sie hätte gerne noch weiter gearbeitet - hat sich jedoch nie wirklich zur Ruhe gesetzt. Sie hilft noch heute an den Seniorennachmittagen in der Gemeinde mit, ist Mitglied der SAC-Frauengruppe, wo sie im vereinseigenen Haus kocht und putzt und leitet kleinere Wanderungen der SAC-Wandergruppe. Ihre Herzensangelegenheit ist die Weihnachtskrippe der Kirchgemeinde. «Dafür habe ich ein Jahr lang gekämpft», betont Lotti Thomi. «Schliesslich haben sie gesagt: Dann mach halt die Toggel.» Mit Hilfe von anderen Frauen und einer Instruktorin baute sie Krippenfiguren, die jeweils ab dem 1. Dezember in der Kirche Oberbipp aufgestellt werden. Als wichtigste Freiwilligenarbeit nennt sie ihr Engagement im Alters- und Pflegeheim sowie im Demenzdorf Dahlia in Wiedlisbach, wo sie regelmässig Leute besucht und begleitet. «Gerade habe ich von dort wieder verschiedene Anfragen erhalten», erzählt sie. Abgegeben hat sie die Nachmittagswanderungen, das Wandern der Kirchgemeinde, die Wanderwochen der Kirchgemeinde, den Kirchenkaffee, den Seniorenadvent des Frauenvereins und die Seniorenausflüge, welche sie für die Gemeinde organisierte.

«Ich weiss gar nicht, wie ich zu diesen Tätigkeiten gekommen bin», sagt sie, um dann doch auf die Anfänge im Frauenkomitee und später in der Schulkommission zurückzukommen. Und je mehr sie überlegt, desto mehr Engagements kommen ihr in den Sinn, hat sie doch auch im Verein Pro Ortsbild und Landschaftsschutz Oberbipp (POLO) als Gründungsmitglied und Kassierin gewirkt, ist Mitglied des Samaritervereins, wo sie zeitweise die Kasse betreute, war Präsidentin der Kindergartenkommission. Für alle diese Engagements hat sie, wie eingangs erwähnt, den ersten Oberbipper Sozialpreis erhalten. Kunststricken, Sticken, Makramee, Gartenpflege sind weitere Hobbys der aktiven Seniorin. «Und ich begleite die Mundartautorin Greti Morgenthaler aus Ursenbach bei ihren Vorlesungen am Drehörgeli», nennt sie wieder eine ganz andere Seite an ihr. Wie wertgeschätzt sie innerhalb der Familie ist, zeigt die Biografie, welche ihre Patentochter Priska Ryf über sie geschrieben hat. «Natürlich nur für den internen Gebrauch», betont Lotti Thomi-Schneeberger. Da ist sie wieder, die Bescheidenheit. Man macht einfach, ohne «Federlesens». Wenn es nach ihr ginge und hoffentlich noch viele Jahre lang.

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