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Balance zwischen Helfen und Selbstfürsorge

Texte: Barbara Bischoff, Andrea Fetz, Marianne Stohler

Den Anstoss zu dem Thema gab Barbara Bischoff. Sie geniesst das Alter, hat Interesse an den Menschen und pflegt viele Kontakte. Und doch fragt sie sich: «Wie lerne ich, eine Balance zu finden zwischen dem Helfen und dem Nichtstun? Es interessierte sie, wie andere Frauen damit umgehen. Auch Andrea Fetz stellt sich die Frage: «Muss, soll, will ich weiterhin Freiwilligenarbeit leisten?» Angesichts ihres vollgestopften Kalenders fragt sich Marianne Stohler, warum es ihr so schwerfällt, kürzer zu treten und loszulassen.

(Fortsetzung)

Lust und Freude mit Care-Arbeit in Balance bringen
Barbara Bischoff

Ich kann mein Alter geniessen, da ich gesund und in meinem sozialen Netz gut eingebettet bin. In meinem Arbeitsalltag hatte ich viel mit Menschen zu tun, da ich in einem sozialen Beruf tätig war. Menschen interessieren mich noch immer. Ich habe auch viele Kontakte und engagiere mich im Dorf und in anderen Gruppen. Trotzdem beschäftigt mich stets wieder, ob ich mich genug einsetze für die Allgemeinheit. Erzählt mir eine Bekannte, dass sie sich für Flüchtlinge oder kranke Menschen einsetzt, denke ich, warum engagiere ich mich nicht auch für sowas?

Vereine suchen freiwillige Mitarbeitende, Familien mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern brauchen Unterstützung. Kranke Kinder können nicht in die Krippe/Schule, und die Eltern sind froh, wenn Grosseltern einspringen können. Das machen viele alte Frauen gerne. Wir sind auch bereit, unser Programm umzukrempeln, damit die Grosskinder nicht alleine sind. Wie oft habe ich mir überlegt, dass das auch richtige Arbeit ist.
Sage ich einmal nein, plagt mich das Gewissen, und ich flüchte mich in unnötige Ausreden.

Auf der anderen Seite unterstütze ich Gleichaltrige, dass sie lernen, nein zu sagen, besonders, wenn es Unterstützung in der Familie braucht und sie dabei an ihre Grenzen stossen. Mit dem Verstand kann ich mit diesem Dilemma bestens umgehen. Ich weiss, dass ich auch Tage zu Hause ohne Pflichten mit einem guten Buch verbringen darf. Aber geniesse ich solche Tage auch, wenn es irgendwo brennt? Manchmal bewundere ich alte Frauen, die sich klar abgrenzen und sagen: »Ich habe Kinder grossgezogen und war noch berufstätig etc.. Nun will ich mich nirgendwo mehr einsetzen.» Ich kann das kaum.

Ich behaupte, dieses schlechte Gewissen ist vor allem Frauen bekannt. Liegt es an unserer Sozialisation? Wie lerne ich, eine Balance zu finden zwischen dem Helfen und dem Nichtstun? Es interessiert mich immer wieder, wie andere Frauen mit diesem Thema umgehen.

Muss, soll, will ich weiterhin Freiwilligenarbeit leisten?
Andrea Fetz

Ich war frisch pensioniert und glücklich, endlich genug Zeit zu haben. Zeit für all das, was während der Familien- und Berufszeit keinen Platz fand: Lesen, lesen und nochmals lesen, Freund*innen treffen, wandern, reisen, in Ruhe Museen besuchen. Und Zeit, meine Kompetenzen der Gesellschaft und in meinem Umfeld zur Verfügung zu stellen.

Angebote sich unentgeltlich zu engagieren, gibt es viele und interessante. Unterdessen unterstütze ich Pflegehelfer*innen in ihrer Ausbildung, besuche Menschen ab 80 im Advent, helfe Kirchenkaffee ausschenken, bediene das Küchenbuffet am Bazar, schreibe für die Frauenweis(s)heiten, organisiere das RegioForum Zürich und denke in den Sitzungen der GrossmütterRevolution mit. Und nicht zu vergessen sind die regelmässigen Tage und Ferienwochen mit unseren jüngsten Enkeln.

Und nun kommt das grosse ABER. Wo bleibt meine Zeit? Zum Lesen, Wandern, Museen besuchen etc.? Viel meiner Zeit ist fremdbestimmt durch Sitzungen und Termine, die mit andern abzustimmen sind. Und so nicht immer optimal liegen. Bin ich hier in der Weiblichkeitsfalle gefangen? Und ist, was gesellschaftlich als weiblich gilt, per se negativ? Gehe ich einem vermeintlichen Pflichtgefühl nach? Ich frage mich, was geschehen würde, wenn ich all dies nicht mehr tun würde.

In erster Linie würde mir die offenen, differenzierten und spannenden Gespräche mit den Frauen der GrossmütterRevolution fehlen, sowie das Fokussieren auf relevante Inhalte. Das gemeinsame Arbeiten an Projekten zum Thema Frauen und Alter. Viel Energie gibt mir auch das Tutorat der angehenden Pflegehelferinnen. Ich kann durch meinen beruflichen Hintergrund «aus dem Vollen schöpfen» und meine Kompetenzen weiterhin anwenden. Zudem bewundere ich diese meist jungen Frauen, die nebst Beruf und Familie (oft mit noch schulpflichtigen Kindern) eine Ausbildung stemmen. Und beim Kaffee ausschenken und den Adventsbesuchen bin ich Teil einer Gemeinschaft von herzlichen Menschen, die ebenso für mich da sind, wenn ich dies benötige.

Das, was mich motiviert, mich weiter für andere einzusetzen, sind die Begegnungen mit sehr unterschiedlichen Menschen, das gemeinsame Tätigsein an einem Projekt oder einer Aufgabe. Ich lerne andere Denkweisen und unterschiedliche Lebensentwürfe kennen, staune, wie unterschiedlich Herausforderungen im Leben angepackt werden können. Das Leben erscheint mir auf diese Weise bunt und vielfältig. Und wenn ich dann ein oder zwei Stunden zum Lesen oder fürs Museum erübrigen kann, dann empfinde ich diese als äusserst wertvoll!

Loslassen
Marianne Stohler

Kopfschüttelnd betrachte ich meinen Kalender. Er ist einmal mehr vollgestopft. Dazu will ich ja noch mindestens ein Paar und eine Freundin vor Weihnachten einladen. Auch ein Kinderweekend und ein weiterer Hütetag stehen noch auf dem Programm, und das alles vor Weihnachten!
Die Adventskränze für Türe und den Esstisch sind zum Glück bereits gemacht. Vor zwei Tagen hatte ich bei einer kleinen Lücke im Programm die verschiedensten grünen Zweige und roten Beeren gekauft und zu einem Kranz gebunden. Für Weihnachten gibt es noch viel zu organisieren und zu überlegen. Sechs Erwachsene und fünf Kinder werden wir sein. Wie lässt es sich organisieren, damit alles reibungslos verläuft, und wir Erwachsene auch ab und zu ein Wort miteinander wechseln können?

Und jetzt kam alles anders. An Stelle eines sehr lebendigen Heiligabends mit aufgeregten Kindern und vielen Päcklein sassen mein Mann und ich alleine in der Stube. Eine Lungenentzündung mit einem Spitalaufenthalt machte alle Pläne zunichte. Es ist seltsam, nun alleine hier zu sitzen und auf den grünen Tannenbaum zu schauen, den wir nicht mehr richtig geschmückt hatten, da ich erst kurz zuvor aus dem Spital kam. Ich fühle mich müde und ein wenig traurig. Jetzt liegen ein paar ruhige Tage vor mir. Tage, die Zeit lassen, nachzudenken. Ich weiss, ich muss langsam zurückstecken. Zu oft kam ich in letzter Zeit an meine Grenzen.

Warum nur fällt es mir so schwer, los zu lassen, mich zurück zu ziehen, weniger Kontakte zu pflegen und mehr bei mir selbst zu sein? Warum bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht zum Hüten komme oder andere Menschen vernachlässige?
Und dann spüre ich sie wieder, die Angst vor dem Verlust, die Angst, die letzten Jahre meines Lebens in Einsamkeit zu verbringen, alleine gelassen zu werden. Was ist, wenn ich nicht mehr so mobil bin, wenn meine Kräfte noch mehr nachlassen?
Menschen, die Auseinandersetzung mit ihnen, das Geben und Nehmen, die Verschiedenartigkeit der Ansichten und Meinungen: Das war und ist für mich das Wichtigste. Ich brauche Menschen um mich herum und kann mir nicht vorstellen, alleine in meinem Zimmer glücklich zu sein. Müsste ich das lernen? Eigentlich sollte man doch so viel Reichtum in sich selbst besitzen. Mein innerer Reichtum aber kommt fast nur in der Begegnung, in der Auseinandersetzung mit anderen zur Geltung.

Ich weiss, noch steht mir die Zeit bevor, in der ich gezwungen sein werde, noch viel kürzer zu treten und ich vieles nicht mehr bewältigen kann.
Ein schwieriger Gedanke für mich, verbunden mit Angst und leider mit wenig Gelassenheit.

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