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In zwei Welten zuhause

Gertrud Hurni vor dem Kreuz in Herzogenbuchsee, wo sie sich gerne einen Kaffee gönnt.
Gertrud Hurni vor dem Kreuz in Herzogenbuchsee, wo sie sich gerne einen Kaffee gönnt.

Text und Porträtfoto: Irmgard Bayard

In zwei Welten zuhause
Kindergärtnerin, Familienfrau, Politikerin, Französischlehrerin, Fachrichterin und Reiseleiterin: Gertrud Hurni aus Oberönz im Oberaargau war und ist in vielen Bereichen äusserst aktiv.

(Fortsetzung)

Ende April feierte Gertrud Hurni ihren 80. Geburtstag. Im Gespräch merkt man ihr das Alter nicht an. Sie erzählt lebhaft aus ihrem Leben, vor allem von ihrer grossen Liebe, dem Land Marokko und dessen Bevölkerung. Dort besitzt sie ein Gästehaus und organisiert von der Schweiz aus Kulturrundreisen dorthin und Kameltouren. «Der einzige Punkt, der mich zurückhält, für immer dort zu leben, ist die nicht nach unserem Standard gewährleistete medizinische Versorgung - und die Familie», sagt sie. Diese besteht nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2012 vorwiegend aus drei erwachsenen Kindern. Dass sie gut in Marokko leben könnte, sei ihr erst in den letzten Jahren bewusst geworden.

Aufgewachsen ist Gertrud Hurni mit zwei Geschwistern im luzernischen Dagmersellen. «Es hat uns an nichts gefehlt, vor allem nicht an Liebe», blickt sie zurück. Sie sei zudem eine der wenigen im Dorf gewesen, welche die Sekundarschule besuchen und danach den Beruf der Kindergärtnerin erlernen konnte. Sie habe früh, 1962, einen Waadtländer geheiratet und mit ihm im Welschland gelebt. Dort hat sie nicht als Kindergärtnerin gearbeitet, sondern Teilzeit im Mühlebetrieb ihrer Schwiegereltern mitgeholfen. Alle anfallenden Arbeiten habe sie erledigt, vom Mahlen bis hin zum Sortieren der Mehlsorten und zur Betreuung des eigenen Mühle-Ladens.

Politisches Engagement im Dorf und im Kanton
1972 zog die Familie nach Oberönz und die mittlerweile 29-Jährige arbeitete wieder Teilzeit in ihrem erlernten Beruf im Kindergarten in Oschwand. «Noch heute besuche ich manchmal ehemalige Kindergärteler», erzählt sie. Kaum im Dorf lebend, wurde sie von der Sozialdemokratischen Partei SP für die Schulkommission angefragt, später für den Gemeinderat. Nicht alle hätten sich über die erste Frau im Amt gefreut, sagt sie rückblickend. «Aber ich konnte für meine Nachfolgerinnen den Boden ebnen.» Sie übernahm das Ressort Umwelt und Wasser. «Wir waren eine der ersten Gemeinden im damaligen Amt Wangen, welche Kehrichtgebühren einführte», betont sie nicht ohne Stolz. Dass sie sogar manchmal mit den Kehrichtmännern auf die Tour ging, sei gut angekommen bei den Leuten. «In Herzogenbuchsee habe ich zudem den Treffpunkt im Ofenhüsli für alleinerziehende Frauen initiiert. Obwohl ich nicht selbst Betroffene war, sah ich die Notwendigkeit einer solchen Ansprechstelle.» Viele hätten sich ohne sie nicht getraut, auf einem Amt Hilfe zu holen. «Ich habe den Frauen diesen Zugang geöffnet.»

Weitere Ämter waren Präsidentin des Kindergartens und Präsidentin der SP Amt Wangen sowie Fachrichterin am Jugendgericht in Burgdorf. Zudem wurde Gertrud Hurni für drei Legislaturen in den Grossen Rat des Kantons Bern gewählt. «Da ich mich immer sozial engagierte und die CVP, der ich von Haus aus nahe war, im Oberaargau kaum existierte, war für mich die SP klare Favoritin.» Dies, obwohl in dieser Partei zu politisieren im ländlich geprägten Gebiet ‚ein hartes Pflaster‘ gewesen sei. «Ich fühlte mich jedoch immer getragen», betont sie. Rückblicken sei eigentlich nicht ihr Ding. «Was ich gemacht habe, habe ich gerne gemacht, aber das ist vorbei.»

Ihre zweite Heimat entdeckt
Keinesfalls vorbei ist hingegen ihre Liebe zu Marokko. «Während meiner politischen Phase in Bern hatte ich das Bedürfnis zu reisen. Als mich eine Kollegin anfragte, sie auf eine Reise nach Marokko zu begleiten, sagte ich zu.» Die Landschaft habe sie sofort in ihren Bann gezogen. Von den dort lebenden Menschen habe sie jedoch nichts mitbekommen. «Wir haben pro Tag viele Kilometer ‚abgespult‘, so dass dafür keine Zeit war.» Sie reiste noch zweimal mit dieser Kollegin mit, jedoch in die Wüste. «Dann hat es mich endgültig gepackt», sagt sie. Sie wollte selbst Reisen anbieten und begann, Kontakte aufzubauen. «Zuerst bin ich als Frau auf Widerstand gestossen. Als die Menschen dann merkten, dass ich ihnen ja Arbeit bringe, waren sie offen dafür.» Sie stellte ein Team in flacher Hierarchie zusammen, besuchte in der Schweiz Kurse für Reiseleitung, erstellte eine Homepage und begleitete die von ihr organisierten Reisen, die erste 1999.

Dank ihrer Bekanntheit konnte sie mit der Zeit, zusammen mit dem Lions-Club Erlinsburg, ein Schulprojekt mit Brunnen, Schulgarten und kleinem Zoo aufbauen sowie in Zagora, rund 350 Kilometer südöstlich von Marrakesch ein Gästehaus bauen. Die Villa Saïda ist ein in typisch marokkanischer Architektur erstelltes Gebäude mit vier grossen Doppelzimmern, einem Esszimmer und zwei Salons. Dort wohnt auch Gertrud Hurni während ihrer zwei bis drei Aufenthalten im Jahr, in der restlichen Zeit wird es von ihrem Geranten betreut. Diesem ermöglicht sie jeweils, in der Schweiz Ferien zu machen. Auch hier stehen das Geben und Nehmen in der Balance.

Auch mit 80 noch Reiseorganisatorin
Wie für andere Reiseveranstalter war für sie Corona ein harter Rückschlag. Sie konnte nicht reisen und verlor auch Geld. Trotzdem denkt sie auch mit 80 Jahren nicht ans Aufhören. Sie organisiert immer noch verschiedene Reisen. Einzig die Trekking-Touren mit Dromedaren begleitet sie nicht mehr selbst. Für ältere Menschen seien ihre Touren in der Wüste mit dem Leben in permanenten Zelten jedoch immer noch geeignet. Die Reisezeit beschränkt sich auf die Monate Oktober bis Ende April, «danach ist es zu heiss», weiss Gertrud Hurni, die auf die Frage nach ihrer Leibspeise Couscous nennt.

Und wie hält sie sich so fit, dass auch künftige Reisen möglich sind? «Ich marschiere viel in der Umgebung von Oberönz, im Wald, der Aare entlang oder rund um den Äschi- oder Inkwilersee.» Sie gehe gerne ins Konzert und ins Theater und lese viel. «Zudem verkehre ich mit allen Generationen und habe eine super Nachbarschaft, das hilft auch.» Wohl ebenso wie ihre Sprachen, spricht sie doch fliessend Marokkanisch und natürlich Französisch, welches sie immer noch privat und im kleinen Rahmen unterrichtet.

Auskunft für die Reisen unter Desert Dreams,
Gertrud Hurni
Bernstrasse 10
3363 Oberönz
062 961 49 39

info@desertdreams.ch,

www.desertdreams.ch (neue Version in Arbeit).

Im Oktober 1999 war unter anderem Maya Eigenmann (zweite von rechts) mit Gertrud Hurni in Marokko. (Foto zvg)
Im Oktober 1999 war unter anderem Maya Eigenmann (zweite von rechts) mit Gertrud Hurni in Marokko. (Foto zvg)

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