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​ «Hört einander zu!»

Telsche Keese

Als Grossmutter habe ich meine Lebenserfahrungen gemacht und schätze sie so, wie sie waren. Ich habe Kinder und Enkelkinder, die in einer neuen Zeit leben und ihr eigenes Erfahrungsfeld suchen. Was mich beschäftigt, ist meine Sehnsucht nach Verbundenheit und Austausch mit meinen Nachkommen. Ich habe das Bedürfnis, in Gesprächen etwas weiterzugeben, einfach von Angesicht zu Angesicht auszutauschen. Ich merke aber, dass der Zusammenhalt zwischen uns Alten und den Jungen schwieriger geworden ist.

(Fortsetzung)

Dabei ist mir klar, dass es immer Gegenbeispiele gibt. So wie ich neulich eine Grossmutter mit ihrer kleinen Enkelin beobachtete. Die Kleine hing an den Lippen der Grossmutter, das eigentlich Selbstverständliche fiel mir auf. Sie hörten einander zu und schauten einander an. Wenn es das Mädchen nicht mehr interessiert hätte, wäre es davongesprungen. So machte es jedenfalls mein Sohn, wenn er genug von meinen Ermahnungen hatte. Er drehte den Kopf weg und machte sich aus dem Staub. Ich denke, dass der grosse Altersunterschied zwischen Enkelkindern und Grosseltern hier eine Rolle spielt. Jedenfalls hören Kinder ihnen lieber zu als ihren eigenen Eltern. Meine Kinder haben uns auch nicht viele Fragen gestellt, ihr Interesse an unseren Lebenserfahrungen hielt sich in Grenzen. Je weiter sie heranwuchsen, desto stärker merkten sie ganz natürlich, wie wichtig eigene Erfahrungen für ihr Leben sind.

Das Miteinander der Generationen driftet auseinander, finde ich, weil die Bereitschaft jüngerer Menschen zu kommunizieren grösstenteils durch die sozialen Medien abgefangen wird. Junge fühlen sich wohl mit Kurzmitteilungen innerhalb ihrer Generation, sind damit aufgewachsen und geniessen die Macht der technischen Dienste. Sie tummeln sich lieber in den sozialen Netzen, können sich zu jeder Zeit über alles im Internet informieren und fühlen sich stark, selbstsicher, wenn nicht sogar überlegen.

Viele von uns Grosseltern können dagegen den technischen Errungenschaften nicht so schnell folgen und spüren einen Verlust. Es hängt zusammen mit Veränderungen. Wir haben jetzt im Alter die Zeit, die den Jungen in ihrer eng getakteten Berufswelt fehlt. Haben sie Familie, fordert die moderne Work-life-balance–Lebensweise auch noch ihren Tribut. Unsere Kinder sagen oft: «Wir haben keine Zeit, wir haben Pläne für dies und das.» Auf der Strecke bleibt das Miteinander des Gedankenaustauschs im Gespräch. Daher driften die Generationen allmählich auseinander, und die Verbundenheit zwischen gestern und heute leidet.

Junge Menschen übersehen, dass ein Gespräch vieles kann. Wenn zwei Menschen reden, sehen sie sich an und versuchen, sich in die Welt des Gegenübers zu versetzen, ihn /sie zu verstehen. Sie lesen beide intuitiv in den Gesichtern, ob sie zustimmen oder ablehnen, ob sie es lustig meinen oder kritisch. Sie üben etwas zutiefst Menschliches: Sie fühlen sich ein, denken mit, um den anderen möglichst gut zu verstehen. Zuhören und Verstehen gehören eng zusammen.

Ein direkter Austausch ermöglicht es, die Bedingungen zu erspüren, warum er/sie so denkst und nicht anders. Er hilft zu verstehen. Nebenbei aktivieren wir auch unsere Vorstellungskraft, gehen innerlich mit, stellen uns Szenen und innere Bilder vor. Es ist ein Geben und ein Nehmen. Wenn wir nicht miteinander reden, genau hinhören und einander zuhören, leidet das Verständnis füreinander. Eigene Erfahrungen sind leider nicht übertragbar, aber sich für die seiner Mitmenschen zu interessieren, ist zu jeder Zeit möglich und wertvoll. Wenn alte Menschen sich für die Jungen interessieren und umgekehrt, bedeutet es für beide Teilhabe am Leben und Verständnis füreinander. Für uns Alten bedeutet es, nicht abgehängt zu werden oder modernes Leben besser zu verstehen. Wenn Junge sich umgekehrt für uns interessieren, bedeutet es für sie Einblick in andere Lebenswelten und Verbundenheit mit der älteren Generation.

So gerne ich mit meiner Altersgeneration zusammensitze und mich verstanden fühle, genauso bemühe ich mich weiterhin, am Leben der jüngeren Generation teilzunehmen. Ich telefoniere, frage unsere Kinder und Enkel nach ihren Erfahrungen im Alltag auch dann, wenn ich nichts von ihnen höre. Das kann ich tun.

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