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​Die engagierte Farbenfrau

Francesca Stockmann liess sich durch Widerstände nicht entmutigen. Im Gegenteil: Sie nutzte Freiräume und ermutigte andere Frauen immer wieder zu einem Leben als emanzipierte Frau.
Francesca Stockmann liess sich durch Widerstände nicht entmutigen. Im Gegenteil: Sie nutzte Freiräume und ermutigte andere Frauen immer wieder zu einem Leben als emanzipierte Frau.

Text und Foto: Marianne Stohler

Gegenüber von zwei Einhörnern trete ich durch ein altes Gartentor in den Zaubergarten von Francesca Stockmann. Inmitten einer farbigen Blumenpracht und am Rande des grossen Teiches stehen unzählige Frösche, Enten, Eulen und Engel. Dazwischen, auf dem Weg aus Steinplatten, sind viele verschiedene Gegenstände eingegossen, die für Francesca eine Bedeutung haben. Hier ein Mond, dort Sonnensymbole oder kleine Schmuckstücke. Der Garten ist für alle Menschen offen und frei zugänglich, was rege benützt wird.

(Fortsetzung)

Die Internatsjahre
1947 geboren, wuchs Francesca in Dübendorf als ältestes von vier Kindern in einem Haus mit grossem Garten auf. «In meinen Kindertagen habe ich sehr, sehr viel gespielt.» Später musste sie auch oft auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen. Als Legasthenikerin hatte sie in der Schule Mühe mit Lesen und Schreiben. Da diese Lernschwäche zu dieser Zeit noch wenig bekannt war, zweifelten einige Lehrpersonen an ihrer Intelligenz. Ihre Eltern entschlossen sich daher, sie mit 13 Jahren nach Menzingen ins Internat zu schicken, da dort auf solche Lernschwächen Rücksicht genommen wurde. Sie hatte dort Erfolg, musste keine Kinder mehr hüten, es gefiel ihr sehr gut. Obwohl der Lehrerinnenberuf für sie nie ein Thema gewesen war, trat sie nach der 3. Sekundarschule ins Lehrerinnenseminar ein. Damit wollte sie einer Nonne, die behauptet hatte, sie würde ein Lehrerinnenseminar nie schaffen, das Gegenteil beweisen. Während der fünf Studienjahre machte sie bei den Pfadis mit, wurde Wolfsführerin und vertrat Menzingen in den Schülerparlamenten der verschiedenen katholischen Knabeninternate. So versuchte sie immer, Freiräume zu nutzen.

Wechselvolle Berufsjahre
Nach einem halbjährigen Aufenthalt in London und verschiedenen Stellen als Lehrerin merkte sie, dass die Heilpädagogik ihre Berufung war. In Bern übernahm sie eine Kleinklasse und studierte daneben an der HPS (Heilpädagogische Schule) in Basel. Dort machte sie auch bei Prof. Kobi die Legasthenie-Lehrerinnen Ausbildung. Anschliessend arbeitete sie immer wieder drei Viertel des Jahres als Vikarin und verbrachte zweimal die Sommermonate in Gilio, einer Insel vor Grossetto in Italien, als Privatlehrerin.
Nach einiger Zeit suchte sie eine feste Stelle und fand sie in Masein im Bündnerland an einer Gesamtschule (1. bis 6. Klasse). In dieser Zeit erlitt sie einen geplatzten Blinddarm, an dem sie fast gestorben wäre. Dazu kam eine Bauchfellentzündung. Anschliessend teilten ihr die Ärzte mit, dass sie nicht schwanger werden könne.
Nach vier Jahren erhielt sie im Februar 1978 die Kündigung, weil die Gemeinde einen Bündnerlehrer bevorzugte. Sie war somit arbeitslos. Ihr Anteil der Pensionskasse wurde ausbezahlt, und sie beschloss, nach Südamerika zu reisen. Unterwegs auf dem Schiff machte sie Bekanntschaft mit dem Kapitän, verliebte sich und erfuhr bei der Heimkehr, dass sie - allen Voraussagen zum Trotz - schwanger war. Es war für sie von Anfang an klar, dass sie das Kind behalten wollte, trotz des Widerstands des Kindsvaters. So übernahm sie alleine die Verantwortung. Ein Freund, ein Jurist, stellte sich als Vormund zur Verfügung, und die Eltern stützten sie finanziell.
In Masein suchte sie eine Halbtagestelle. Und fand dann auch, nach einigen politischen Schwierigkeiten, eine Stelle an einer Kleinklasse in Sils im Domleschg.

Mutter und Erwachsenenbildnerin
Während Francesca arbeitete, hütete eine Frau ihre Tochter und kochte für sie und ihre eigenen zwei Kinder. Das funktionierte prima. Nach zwei nötigen Wohnungswechseln konnte sie zum Glück die grosse Wohnung von Freunden in Paspels übernehmen, weil diese in ein eigenes Haus zogen. Auch die Betreuung der Tochter konnte gut geregelt werden.
Neben Ihrer Schultätigkeit arbeitete sie in der katholischen und der reformierten Kirche als Erwachsenenbildnerin. Sie gab unter anderem Sterbeseminare, ermutigte andere Frauen dazu, eine Tätigkeit aufzunehmen, eigenes Geld zu verdienen und lebte ihnen ganz konkret ein emanzipiertes Leben als Frau vor. Sie bewegte sehr viel in den kleinen Gemeinden des Domleschg.

Vielfältige Engagements als Pfarrfrau
In dieser Zeit lernte sie den reformierten Pfarrer in Thusis kennen und lieben. Im Jahr 1986 heiratete das Paar und zog in ein grosses Pfarrhaus mit 13 Zimmern in Weinfelden. Denn in Thusis wäre die Weiterarbeit schwierig gewesen wegen der katholischen Frau, die ein unehelichen Kind hatte und erst noch ihren Namen behalten wollte.
In Weinfelden gründete sie im Jahre 1988 das Frauenforum Weinfelden zusammen mit Monika Stocker, die zu jener Zeit Nationalrätin war. Sie kannte diese von ihrer Arbeit in der Frauenkirche Zürich, in der sie sich auch, in der Villa am Zürichberg des Boldernhauses, intensiv mit feministischer Theologie auseinandersetzte. Zur Gründung des Frauenforums Weinfelden kamen wider Erwarten 88 Frauen! Mit diesem Forum organisierte sie 1991 das erste Frauenstreikfest. Francesca engagierte sich viel in der Frauenbewegung. Sie organisierte Kurse in feministischer Theologie und anderes und war somit weit entfernt vom Bild der «braven» Pfarrersfrau. Das gab in der reformierten Gemeinde Einiges zu reden.
1989 übernahm sie wieder eine Vollzeitstelle als Lehrerin, merkte aber bald, dass das neben allen anderen Aktivitäten nicht zu schaffen war. So erreichte sie schlussendlich, dass das erste Mal die Möglichkeit des Jobsharings offiziell anerkannt wurde. Sie teilte die Stelle mit einem Mann, da sie es sehr wichtig fand, dass Frau und Mann zusammen die Klasse führten. Zehn Jahre lang unterrichtete sie an der Schule.

Engagement für die Frauen
Im Jahr 1991 kam sie auch in den Vorstand der Frauenzentrale Thurgau. Sie stellte sich aber nie gegen die Männer. Sie war und ist überzeugt, dass Frauen und Männer zusammenstehen müssen, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Nach dem Tode ihres Mannes 1995 wurde sie Präsidentin der Frauenzentrale Thurgau. Mit den anderen Präsidentinnen der Frauenorganisationen gründete sie eine Benefo-Stiftung (Beratungsnetz der Frauenorganisationen), weil der Kanton eine Opferhilfestelle einrichten musste für Vergewaltigungsopfer, Kindsmisshandlungen etc.. Auch eine Art Gleichstellungsbüro wurde gegründet, eine Budgetberatung angeboten, und das Frauenbuch des Kanton Thurgaus «Bodenständig und grenzenlos» kam heraus. Zudem reichte das Geld für die Gründung des Frauenarchivs Thurgau.

Zurück im Elternhaus
Im Jahr 1999 entschloss sie sich, zu ihrem 90jährigen Vater ins Elternhaus in Dübendorf zu ziehen. In der ersten Zeit gab sie noch Unterricht in Weinfelden und führte einige ihrer Ämter weiter. 2000 zog sie dann ganz nach Dübendorf, hatte aber immer noch einige Aufgaben im Kanton Thurgau. Nach einiger Zeit mit einem 50% Pensum an Kleinklassen, machte sie in Basel noch die Dyskalkulie-Ausbildung und arbeitete darauf mit einzelnen Kindern in Wangen und Brüttisellen.
Die ersten zwei Jahre in Dübendorf waren schrecklich für sie. Sie kannte niemanden mehr, hatte wenig Kontakte, während sie in Weinfelden überall bekannt war. Durch einen Beitritt zur FDP wurde sie in die Schulpflege gewählt, der sie 16 Jahre lang treu blieb. Dadurch wurde es schnell besser. Sie engagierte sich anschliessend auch in der Kulturkommission und führte ein offenes Haus.
Nach dem Tode ihres Vaters übernahm sie das Elternhaus und machte daraus ein kleines Kulturzentrum, das bis heute sehr gut läuft. Es finden dort Lesungen, Konzerte, Tavolatas und anderes statt. Zentral sind für Francesca Farben, davon zeugen ihr Haus und der Zaubergarten. Seit 1971 malt sie auch immer wieder in ihrer Freizeit. In den letzten 12 Jahren hütete sie zudem während zwei Tagen in der Woche die Kinder ihrer Tochter und des Schwiegersohns. Diese Familie gehört zum Wichtigsten ihres Lebens.
Heute nun, nach vielen arbeitsreichen Jahren, ist Francesca immer noch aktiv, hat mehr Zeit für ihren offenen Garten und pflegt die vielen Kontakte, die sie hat. Ihr Leitsatz: «Das Schöne im Leben geniessen und es mit andern teilen» setzt sie jeden Tag um.

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