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Begegnungen mit dem möglichen Lebensende

Unser Leben ist beschränkt. Doch wissen wir nicht, wann, wo und wie wird unser Lebensweg zu Ende sein wird.
Unser Leben ist beschränkt. Doch wissen wir nicht, wann, wo und wie wird unser Lebensweg zu Ende sein wird.

Texte: Monika Fischer und Andrea Fetz, Foto: Monika Fischer

Die Endgültigkeit des Lebensendes macht vielen Menschen Angst. Deshalb wird das Thema verdrängt und in unserer Gesellschaft häufig tabuisiert. Neben Todesfällen sind es oft schwere Krankheiten naher Angehöriger mit ungewissem Ausgang, die uns erstmals so richtig mit Sterben und Tod konfrontieren. Monika Fischer erlebte dies bei der Krebserkrankung ihres ältesten Sohnes. Andrea Fetz muss sich wegen der Krankheit ihres Lebensgefährten damit auseinandersetzen. Beiden wurde bewusst: Die beschränkte Zeit gibt dem Leben eine neue Qualität.

(Fortsetzung)

Keine Sorgen auf Vorrat
Die Krebsdiagnose des ältesten Sohnes konfrontierte mich erstmals so richtig mit dem Lebensende. Ein Jahr lang wussten wir nicht, wie es ausgehen würde. «Wenn ich eine Chance habe, werde ich für meine Heilung kämpfen. Wenn nicht, kann ich es auch nehmen. Ich habe im Leben nichts hinausgeschoben, sondern immer gemacht, was mir wichtig war.» Er war 24, als er dies sagte und hat uns immer wieder aufgemuntert. Wenn wir vor dem nächsten Untersuch bangten, stellte er uns auf mit den Worten: «Solange ich nichts anderes weiss, bin ich gesund. Ich will mir keine Sorgen auf Vorrat machen.»

Er hatte Glück, wurde geheilt und ist Vater von drei wunderbaren Töchtern. Die Erfahrung vor 28 Jahren begleitet mich bis heute und hat zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Lebensende geführt. Diese fand vor 25 Jahren Ausdruck in der Vortragsreihe in unserem Dorf zum Thema «Leben mit dem Tod. Reden über das, was uns sprachlos macht.» Bis 500 Personen besuchten die Veranstaltungen. Auch in zwei Ratgebern befasste ich mich ausführlich mit dem Thema Sterben/Tod, ein ständiger Begleiter auch in der Hausarztpraxis meines Mannes.

Dabei ging es meistens um das Sterben und den Tod fremder Menschen. Natürlich machte ich mir auch Gedanken über das eigene Lebensende, doch schien dieses noch weit entfernt zu sein. So richtig aufgerüttelt hat mich letztes Jahr der Vortrag des Ethikers und Theologen Heinz Rügger zum selbstbestimmten Sterben heute. Er bezeichnete es als grosses Missverständnis, es gebe zwei Arten des Sterbens: Ein natürliches Sterben, vom Schicksal so gewollt, der Mensch müsse sich fügen - und ein selbstbestimmtes Sterben (z.B. mit Exit). Dieses sei mit der Entwicklung der modernen Medizin, die über ein grosses Arsenal an lebensverlängernden Massnahmen verfüge, generell zu einem neuen Modell in der Schweiz geworden. In vielen Situationen, in denen Menschen früher gestorben wären, gebe es heute Möglichkeiten, das Leben zu verlängern. So fordere das Lebensende immer mehr Entscheidungen über das Weiterleben mit Fragen wie: Wie lange soll man mit hochwirksamen Mitteln den Tod bekämpfen? Wann soll auf lebensverlängernde Massnahmen verzichtet werden? Wann soll von kurativer auf palliative Behandlung umgestellt werden? So könne durch die heutigen medizinischen Möglichkeiten ein Dilemma entstehen, weil schwierige und ambivalente Fragen beantwortet werden müssen. War früher das Sterben der Inbegriff von fremd verfügtem Schicksal, werde es heute zunehmend zum selbst bestimmtem Machsal. Dem könne man in der Schweiz mit einer Fülle an medizinischen Möglichkeiten nicht ausweichen.

So deutlich war mir dies bisher nicht bewusst. Wie werde ich einmal entscheiden, wenn die schwierigen Fragen an mich gestellt werden? Wohl spreche ich mit meinem Mann und teilweise auch mit den Kindern darüber. Doch gelingt es mir nicht wirklich, mich in diese Situation hineinzuversetzen. Das Thema wird mich weiterhin begleiten.

Das Bewusstsein um die Endlichkeit schärft meinen Blick für die Bedeutung des Lebens. Jetzt im Frühling freue ich mich über die ersten Frühlingsblumen und die länger werdenden Tage. «Trinkt o Augen, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluss der Welt.» Immer wieder kommt mir bei meinen Spaziergängen dieser Satz von Gottfried Keller in den Sinn. Es beschäftigt mich wohl, was Menschen einander weltweit mit Gewalt antun. Trotzdem oder erst recht bin ich dankbar, in unserem friedlichen Umfeld leben zu dürfen. So will ich mir gemäss den Worten meines Sohnes keine Sorgen auf Vorrat machen, sondern im Jetzt leben und hoffe, ich könne das Lebensende nehmen, wie es ist.
Monika Fischer



Die beschränkte Zeit gibt dem Leben eine neue Qualität
Lange Zeit habe ich das Thema Endlichkeit vor mich hergeschoben. So viel anderes war immer wichtiger. Nun ist mein Partner ernsthaft erkrankt und ich bin gezwungen, mich damit auseinander zu setzen. Die Illusion, alles könne so weiter gehen wie bis anhin, hat sich schlagartig davongeschlichen.

Noch geht es darum, mit Therapien die Krankheit in Schach zu halten, um ihm möglichst lange eine gute Lebensqualität zu ermöglichen. Dieser Prozess kostet uns beide zurzeit viel Energie, es ist also nicht der Zeitpunkt übers Sterben zu sprechen. Auch wenn dies bei uns beiden ein Thema ist. Vorerst verarbeitet dies jedes für sich allein. Manchmal spüre ich auch, dass es so viel einfacher ist, mich für das Wohlergehen meines Mannes ins Zeug zu legen, als meine Hilflosigkeit anzuerkennen. Dies, weil es schlussendlich darum geht, den Menschen zu verlieren, der mir am nächsten steht. Diesem Gedanken kann ich mich nicht mehr entziehen. Dass unsere gemeinsame Zeit beschränkt sein wird, gibt ihr eine neue Qualität. Verhaltensweisen, die mich früher ärgern konnten, betrachte ich heute als Nichtigkeiten. Die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, hat an Qualität zugenommen, anderes erkennen wir häufig als unnütz. In unseren Gesprächen wird nichts mehr verschoben, auch Schwieriges kommt ohne Verzug aufs Tapet. Dies alles ist teilweise emotional sehr intensiv. Um so mehr achten wir auch darauf, das Leben zu geniessen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Dass wir die finanziellen, erbrechtlichen und vertraglichen Dinge vorzeitig geregelt haben, ist uns eine grosse Hilfe dabei.
Da ich den Wunsch habe, meinen Lebensgefährten in unserem Zuhause beim Sterben zu begleiten, musste ich mich vergewissern, dass dies auch seinen Vorstellungen entspricht. Als Pflegefachfrau weiss ich um die Herausforderung und habe grossen Respekt davor. Es gab Situationen, da riet ich Angehörigen von diesem Schritt ab. Als Fachfrau kenne ich die Angebote im Gesundheitswesen. Auch habe ich einen grossen Freundeskreis, u.a. mit Berufskolleginnen, also traue ich mir diese Herausforderung zu. Wie sich die Situation zeigen wird, werden wir erst wissen, wenn sie da ist. Ein gemeinsamer Prozess des Abschiednehmens und dabei tätig sein zu können, wird auch meiner Seele guttun.

Doch jetzt geht es darum, die Krankheit noch einige Zeit in Schach zu halten und das Leben zu geniessen. Und ich vergesse dabei nicht, dass auch mein Leben einmal zu Ende sein wird. Mein Wunsch ist es, begleitet zu werden, im besten Fall von meinen Liebsten. Dazu mache ich mir auch ab und zu Gedanken. Und was ich bis dahin noch erleben möchte.
Andrea Fetz

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