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Die zwei Omas meiner jüngsten Enkelin

Maria Flückiger (links) und Emma Steffen sind dankbar über das gemeinsame Leben, in dem sie sich gegenseitig unterstützen, aber auch viel Raum geben.
Maria Flückiger (links) und Emma Steffen sind dankbar über das gemeinsame Leben, in dem sie sich gegenseitig unterstützen, aber auch viel Raum geben.

Text und Foto: Monika Fischer

Maria (1950), betreute beruflich Kinder und Jugendliche mit Mehrfach-Beeinträchtigungen, ist geschieden, Mutter einer Tochter und eines Sohnes und Grossmutter einer Enkelin. Die Primarlehrerin Emma (1953) unterrichtete bis zu ihrer Pensionierung im gleichen Dorf und lebte lange allein. Vor 28 Jahren fanden die beiden Frauen zueinander und freuen sich: «Wir lebten unsere Beziehung ganz selbstverständlich und sind in unserem ländlichen Umfeld respektiert und akzeptiert.»

(Fortsetzung)

Erstmals begegnete ich den beiden Frauen an einem Vortrag, wo sie sich als Nachbarinnen meines jüngsten Sohnes und seiner Partnerin vorstellten. «Wir sind ein Paar», meinten sie selbstbewusst. Nach der Geburt der Enkelin an Weihnachten vor acht Jahren klopfte der junge Vater bei ihnen an und überbrachte ihnen die freudige Botschaft. Wenig später lernten Emma und Maria auch die schwerkranke Mutter der Schwiegertochter kennen, weilte diese doch oft bei der jungen Familie. Als sich ihr Lebensende abzeichnete, versprachen ihr die beiden Frauen, für ihr Enkelkind da zu sein. Die guten nachbarschaftlichen Kontakte vertieften sich zu einer familiären Beziehung. Die Enkelin verbringt regelmässig einen Tag pro Woche bei den beiden Omis und ist mit ihren Eltern auch bei deren Familienfesten dabei. Auch ich begegne ihnen an Geburtstagen und andern Feiern. Deshalb freute ich mich über ihre Zusage für ein Porträt als Paar. Das offene Gespräch über ihr Leben war für mich ein Geschenk.

Was früher unerreichbar schien
Emma Steffen ist als älteste mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof in Willisau aufgewachsen. Nach dem Besuch des Lehrerseminars in Hitzkirch arbeitete sie ab 1974 bis zur Pensionierung als Primarlehrerin in Menznau im Luzerner Hinterland. Zuerst unterrichtete sie die 5./6., später die 3./4. Klasse mit einem Unterbruch in den 80er-Jahren wegen einer schweren Depression. Rückblickend meint sie: «Möglicherweise hatte es mit meinem damaligen Leben zu tun, wohnte ich doch allein. Es war für mich schon als Mädchen klar, dass ich anders war. Doch konnte ich dies damals nicht benennen. Wohl hatte ich Freunde, verliebte mich jedoch immer wieder in Frauen, die für mich unerreichbar waren.» Der Aufenthalt in einer Klinik gab ihr wieder Boden. Neben der Berufsarbeit las sie viel, war aktiv im Turn- und im Samariterverein sowie Lektorin in der Kirche und acht Jahre Kirchenrätin. Mit knapp 60 Jahren erkrankte sie an Lungenkrebs. Deshalb unterrichtete sie die letzten drei Jahre nur noch ein halbes Pensum und freut sich: «Ich liebte meine sinnvolle Arbeit und bin nun ebenso glücklich pensioniert.»

Ein wechselvolles Leben
Wie unterschiedlich verlief das Leben ihrer Partnerin Maria Flückiger. Sie war eines der ersten Rhesuskinder der Schweiz, das dank sofortigem Blutaustausch nach der Geburt überlebt hatte und in Hagendorn mit einem neun Jahre älteren Bruder in einer Arbeiterfamilie aufwuchs. Zwischen dem Bruder und ihr waren drei Geschwister kurz nach der Geburt gestorben. Sie war ein äusserst lebhaftes Kind, das nach dem Umzug nach Cham in der 2. Klasse sich völlig entwurzelt nicht mehr zurechtfand. Von den überforderten Eltern oft geschlagen, kam sie für zwei Jahre in ein Kinderheim. Die Rückkehr an die Schule Cham glückte dank einem verständnisvollen Lehrer gut, doch die Konzentrationsprobleme blieben. Deshalb machte sie nach sieben Schuljahren eine Haushaltlehre in einer Familie mit zwei Kindern. Darauf verbrachte sie zwei Jahre als Volontärin in Sierre in einem Institut mit beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen. Dies prägte ihren Lebensweg. «Doch zuerst kam ich von autoritären Eltern mit 20 zu einem autoritären Ehemann», berichtet sie. Mit dem Besuch der Bäuerinnenschule hatte sie sich auf ein Leben als Bäuerin vorbereitet. Uneinigkeiten in der Familie ihres Mannes zerschlugen die Pläne der Hofübernahme am Fusse des Pilatus. Über Umwege übernahm das Ehepaar mit zwei Kindern eine Hauswarts-Stelle in einer grossen Überbauung in Zug. Als Tochter und Sohn älter waren, absolvierte Maria eine zweijährige Ausbildung als Pflegehelferin FA SRK und arbeitete danach ein Jahr im Pflegeheim Baar. Dank dem Wechsel ins Heilpädagogische Zentrum Hagendorn konnte sie in Bremgarten eine berufsbegleitende Ausbildung als Betreuerin von geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen machen. «Meinen Lehrabschluss machte ich gleichzeitig mit meinen Kindern», lacht Maria, die nach der Weiterbildung zur Schulassistentin diesen Beruf 20 Jahre ausübte.

Grosse Akzeptanz im ländlichen Umfeld

Interessiert an religiösen Fragen, trafen sich Emma und Maria 1996 am Weekend einer Lesbenvereinigung in Gwatt zum Thema «Frauen in der Bibel». Maria war sofort verliebt, Emma zuerst zurückhaltend; sie wollte sich nicht auf eine verheiratete Frau einlassen. Doch hatte sich Maria schon lange nicht mehr wohlgefühlt in der Ehe mit einem Mann. Sie beide hatten sich längst auseinandergelebt, und bald reichte Maria die Scheidung ein.
1997 zog Maria ins Reihenhaus der Partnerin, die den obersten Stock für sie ausgebaut hatte. Es war beiden stets wichtig, genug Raum für sich zu haben.
Emma wurde von Marias Kindern auf Anhieb akzeptiert, sowie auch von ihrem Bruder und seiner Familie. Bei den gemeinsamen Familienfesten ist oft auch Maria’s Ex-Mann dabei. Maria wurde wohl von Emmas Mutter, nicht jedoch von allen Geschwistern gut aufgenommen.
Das Paar lebte die Partnerschaft im Dorf im Luzerner Hinterland ganz selbstverständlich. «Wir waren diskret, gingen nicht Hand in Hand durchs Dorf. Doch sagten wir offen, dass wir ein Paar sind und nahmen einander auch gegenseitig zu Anlässen mit, wenn die Partner eingeladen waren. So wurden wir gut akzeptiert und sangen beide auch im Kirchenchor mit, die eine eher hoch, die andere tief.»

Eintragung als Festtag
Sie erzählen vom Tag, als sie ihre Partnerschaft eintragen liessen. Sie zeigen ihre Ringe, es war am 11. April 2007. Unterdessen haben sie ihr Erinnerungsbuch hervorgeholt und berichten anhand der Fotos von diesem speziellen Tag in dem dafür vorgesehenen Raum im alten Wasserschloss Wyher in Ettiswil. Da sie das erste gleichgeschlechtliche Paar der Region waren, wollte der Regierungsstatthalter als höchster Zivilstandbeamter persönlich den Akt vornehmen. Dabei war auch der Pfarreileiter der Wohngemeinde im liturgischen Kleid. Dieser segnete die Ringe, die Tochter und Sohn auf einem Kissen trugen. Der zivilrechtliche Akt wurde musikalisch umrahmt mit Harfe, gespielt von der Tochter, und Querflöte. Weitere Bilder zeigen, wie die beiden Frauen im massgeschneiderten Hosenanzug mit einem Blumenstrauss das Schloss verlassen. Dort steht scheinbar das halbe Dorf Spalier: Emmas Schulklasse, der Kirchenchor, der Samariterverein. Vorsorglich hatte das Festpaar einen Clown für die Kinder und einen Apéro für alle Gratulantinnen und Gratulanten organisiert. «Es war ein wunderbares Fest mit dem anschliessenden Nachtessen auf dem Menzberg für die geladenen Gäste», erinnern sich Emma und Maria. Deshalb finden sie es nicht nötig, sich jetzt auch noch trauen zu lassen.

Foto:Privatarchiv
Foto:Privatarchiv

In guten und in schlechten Tagen
Damit beide im Hinblick auf die Zukunft gleichgestellt waren, bezogen sie vor zehn Jahre eine Eigentumswohnung in Sursee, die beiden gehört. «Wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten mit je eigenem Temperament. So ergänzen wir uns auch im Praktischen und schmeissen den Haushalt ohne grosse Diskussionen. Emma kocht öfter, und ich wasche, bügle und nähe gerne», meint Maria. «In unserer Beziehung geht es wie in andern auch. Wir sind längst nicht immer der gleichen Meinung und diskutieren viel und offen miteinander», halten sie übereinstimmend fest. Beide fahren gerne E-Bike, reisen mit dem GA in der Schweiz herum, besichtigen mittelalterliche Städte und Städtchen und besuchen auch Kunstaustellungen und Museen. Daneben pflegen sie ihre je persönlichen Interessen. Emma war oft Gasthörerin an der Uni und nimmt an Veranstaltungen der Seniorenuni teil, während Maria vier Jahre freiwillig eine demente Bewohnerin im Pflegeheim betreute. Sie hofft, bald auch ihren monatlichen Wochenenddienst im Tiergarten des Pflegeheims – ausmisten und füttern der Tiere – wieder aufnehmen zu können. Denn noch erholt sie sich von der grossen Operation im Dezember wegen Blasenkrebs. Es war eine schwierige Zeit für beide, die sie wie schon Emmas Lungenkrebs gemeinsam getragen und überstanden haben. «Wir haben immer offen über alles gesprochen und auch gemeinsam geweint. Wir gehen pragmatisch mit der Situation um, besteht doch das Leben nicht nur aus Krankheit», meint Emma. Hilfreich ist auch der Galgenhumor von Maria, die mit ihrem Stoma (künstliche Harnableitung durch die Bauchdecke) umgehen kann und lachend sagte: «Kennt ihr eine andere Frau, die sagen kann, sie könne in der Natur stehend an einen Baum pinkeln?» Vor den abschliessenden Untersuchungen blicken Maria und Emma der Zukunft zuversichtlich entgegen und sind dankbar für die 28 guten gemeinsamen Jahre.
Und ich schätze es, dass meine jüngste Enkelin so wunderbare Vorbilder hat und bei den beiden Omis stets gut aufgehoben ist.

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