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Wenn das eigene Lebensende näherkommt

Mitgehen im Fluss des Lebens, von der Quelle bis zur Mündung.
Mitgehen im Fluss des Lebens, von der Quelle bis zur Mündung.

Texte: Barbara Bischoff, Marianne Stohler, Irmgard Bayard
Foto: Monika Fischer


Mit zunehmendem Alter werden wir immer häufiger mit schweren Erkrankungen und Todesfällen in unserem Umfeld konfrontiert. Wir können dem Loslassen und Abschiednehmen nicht mehr ausweichen. Dies zwingt uns zur Auseinandersetzung, wie wir selber einmal das Lebensende erleben möchten. Dabei beschäftigen uns viele existentielle Fragen.

(Fortsetzung)


Wenn Abschiede endgültig werden
Ich bin nun 76 Jahre alt. Mir geht es dem Alter entsprechend gut. Ich habe keine akuten Beschwerden und kann meinen Aktivitäten ohne Einschränkungen nachgehen. Zudem lebe ich in einem guten und stabilen sozialen Netz.
In den letzten zwei bis drei Jahren wurde ich ganz konkret mit dem Lebensende konfrontiert. Zwar nicht durch eigene Beschwerden, sondern durch Todesfälle oder schwere Erkrankungen in meinem Umfeld. Auch hatte ich letzte telefonische Kontakte, bevor ich dann kurze Zeit später über den Tod der betreffenden Person informiert wurde. Das heisst, ich komme ums Abschiednehmen und Loslassen nicht mehr herum. Es gibt immer wieder Adressen, die ich aus meiner Agenda streichen muss. Auch wenn es absolut zum Altwerden gehört, dass Bekannte und Freunde sterben oder in einer Demenz «verschwinden», beschäftigt mich das sehr.
Wenn wir uns - nach unserer über 50-jährige Tradition der Silvesterfeier - von den Freunden fürs nächste Mal verabschieden, kommt oft der Nachsatz, «wenn wir dann noch können…» Auf diese Idee wären wir früher nie gekommen! Abschied nehmen fiel mir schon immer schwer. Nun sind diese Abschiede aber endgültig.
Es kann auch gut sein, dass sich vielleicht nächstens meine Bekannten und Verwandten von mir verabschieden müssen. Ich gebe mir Mühe, deshalb nicht in ein negatives Denken zu fallen. Mich bewusst mit dem Lebensende zu befassen, hilft mir auch, diese Zeit positiv zu sehen. Ich habe mich mit meinem eigenen Sterben beschäftigt und mit der Familie meine Vorstellungen und Wünsche besprochen. Es beruhigt mich zu wissen, dass meine Angehörigen meine Wünsche kennen und akzeptieren.
Mich freut es sehr, dass ich auch in meinem Alter neue Freundschaften knüpfen kann und damit interessante Gesprächspartnerinnen kennen lernte. Auch das Wiederbeleben alter Kontakte, zum Beispiel zu ehemaligen Schulfreundinnen, geniesse ich sehr. Im Moment geniesse ich weiterhin den Alltag, die Kontakte zu meinen Mitmenschen und die Erinnerungen an gute Freundschaften.
Barbara Bischoff

Existentielle Fragen
Wieder einmal sitze ich vor meinem Testament, welches ich als Beilage zum Ehevertrag verfassen will. Da ich keine Kinder habe, kann ich völlig frei über meinen Nachlass verfügen. Das macht es nicht einfacher. Schon mehrmals habe ich die Ergänzungen zum Ehevertrag neu geschrieben. Wer steht mir am nächsten? Wer hat es wohl am nötigsten? Nach welchen Kriterien soll ich mein Erbe aufteilen?

Es sind schwierige Fragen für mich.
Gleichzeitig, beim Überarbeiten des Erbvertrages wird mir wieder bewusst, wie begrenzt, wie endlich die Lebensphase ist, die mir noch zur Verfügung steht.
Wie wird sie wohl aussehen? Wie wird es mir in Zukunft gesundheitlich gehen? Um mich herum sehe ich Menschen, die so alt sind wie ich, welche die Diagnose Alzheimer erhalten, oder unheilbar krank sind. Wie gehen diese Menschen damit um. Es sind Fragen, die ich oft nicht zu stellen wage. Fragen, welche die Existenz betreffen.

Ich stelle sie daher an mich selbst. Was würde ich tun, wenn ich an einer unheilbaren Krankheit litte, die mit starken Schmerzen verbunden ist? Was würde ich bei der Diagnose Demenz tun?
Seit Jahren bin ich Mitglied bei Exit. Ob das aber die Lösung ist? Bei starken Schmerzen, verbunden mit wenig Aussicht auf Heilung, wäre es wohl relativ leicht, den Tod selbst zu bestimmen und mit Exit aus dem Leben zu scheiden. Wie sieht es jedoch bei der Diagnose Demenz aus? Wenn ich mich noch recht wohl fühle, aber immer mehr vergesse? In diesem Fall müsste ich mich rechtzeitig für Exit entscheiden, dann, wenn ich noch als zurechnungsfähig gelte. Würde ich den Mut dazu haben? Das weiss ich nicht.

Hingegen macht mir die Aussicht auf Pflege oder Verlust der Selbständigkeit grosse Angst. Was, wenn ich nicht mehr selbst zu mir schauen kann, wenn ich auf Hilfe angewiesen bin, wenn mein Mann nicht mehr lebt oder nicht mehr fähig ist, sich um mich zu kümmern? Will ich die letzte Zeit meines Lebens als unzurechnungsfähige, abhängige und pflegebedürftige Person verbringen, nachdem mir ein Leben lang meine Selbständigkeit, mein eigenständiges Denken so wichtig gewesen sind?

Ich reisse mich von den negativen Gedanken los. Noch geht es mir gut, geniesse ich mein Leben, die vielen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, meine vielfältigen Engagements und meine Zeiten der Ruhe und des stillen Geniessens. Einmal mehr erinnere ich mich an die Worte meiner Patin: «Werde nicht vor der Zeit unglücklich».
Marianne Stohler


Das Sterben bewusst erleben
Es war der 22. Mai 1999, als das Sterben für mich eine neue Bedeutung erhielt. Mein Vater wohnte für seine letzten Monate und nachdem er meiner MS-kranke Mutter jahrelang zur Seite gestanden hatte, bei seiner zweiten grossen Liebe in einem anderen Ort. Lange Zeit ging es ihm zufriedenstellend. Gegen die Schmerzen seiner Krebserkrankung erhielt er vom Arzt Morphiumpflaster und von meinem Bruder Haschzigaretten. Wir Geschwister besuchten ihn immer wieder, mal abwechselnd, mal zusammen. An diesem besagten Tag waren wir beide anwesend. Wir wussten, dass es bald zu Ende gehen würde. Unser Vater lag auf der Matratze, war jedoch nicht mehr ansprechbar. Es war der Moment als mir klar wurde, dass ich nun diesen geliebten Menschen loslassen musste. Seine Freundin und mein Bruder liessen mich alleine mit ihm, so dass ich Abschied nehmen konnte. «Papi, ich gehe jetzt, geh du auch», waren meine letzten Worte an ihn. Und als Erlösung für uns beide tat er einen letzten tiefen Atemzug, bevor er aus dem irdischen Leben schied.

Nach diesem Erlebnis war mir klarer als je zuvor, dass das Sterben ebenso zum Dasein gehört, wie die Geburt. Diese hatte ich, wenn auch unbewusst, miterlebt. Genau so möchte ich auch mein Sterben und den Tod erleben, nur eben bewusst. Natürlich wünsche ich mir, wie wohl die meisten Menschen, nicht allzu grosse Schmerzen, wenn es an der Zeit sein wird. Und von meiner Grossmutter weiss ich, dass es «e Chrampf und nümme schön», sein kann, wie sie im Sterbebett sagte. Trotzdem, wenn ein Kampf dazu gehört, so wird es seine Richtigkeit und ich es zu akzeptieren haben.

Ob ich wirklich genau so denken werde, wenn mein eigener Tod naht? Ich weiss es nicht. Vielleicht hat dieses letzte Erlebnis ja noch etwas Zeit.
Irmgard Bayard

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