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​Fürsorge und Pflege im Alter

Marianne Stohler

Ich bin alt, fühle mich grundsätzlich wohl und engagiere mich in vielfältiger Weise: für die Wertschätzung der Care-Arbeit, für die Frauenfrage, die Rechte von Minderheiten etc.. Ich empfinde mein Leben als spannend, vielfältig und selbstbestimmt. Nur ab und zu holt mich die Angst vor der Zukunft ein. Was, wenn mein Kopf mich im Stich lässt? Wenn ich Hilfe brauche, um den Alltag zu bewältigen? Was wenn…?

(Fortsetzung)

In meinen Ohren höre ich bei diesen bangen Fragen immer wieder die Stimme meiner Patin: «Werde nicht vor der Zeit unglücklich.». Was hilft es, wenn ich mir jetzt Sorgen mache über das, was ev. einmal auf mich zu kommt? Handkehrum finde ich es trotzdem sinnvoll, mich mit Zukünftigem auseinander zu setzen. Vor meinen Augen stehen immer noch die Bilder vom Alters- und Pflegeheim meiner Tante: Menschen, die stundenlang in einem Raum sitzen, vor sich hinstarren, kaum ansprechbar sind. Der Fernseher läuft, aber kaum eine schaut zu. Ich sehe, wie die alten Menschen zum Teil wie Kinder behandelt werden.
Ich weiss, das ist bei uns so ziemlich Vergangenheit. Mit den vielfältigsten Angeboten versucht man heute die Menschen zu aktivieren, wann immer möglich ihre Ressourcen zu nutzen, ihnen so viel Selbstbestimmung zu lassen, wie dies im beschränkten Rahmen eines Heimes möglich ist. Umso gespannter verfolge ich Projekte, die sich an das Wohn- und Pflegemodell 2030 von Curaviva anlehnen. Dieses ist eine Vision darüber, wie selbstbestimmtes Leben von älteren Menschen trotz Pflegebedürftigkeit in der von ihnen bevorzugten Wohnumgebung in Zukunft ermöglicht werden soll. Dies zeigt mir, wie sehr sich der Umgang mit alten Menschen seit 1900 verändert hat.

Die Entwicklung der Alterspflege
Die Alterspflege hat eine lange Geschichte und lässt sich in fünf Typologie gliedern.
Stand bis ca. 1900-1950/60 das Verwahren und Versorgen der älteren, oft einsamen und ärmeren Menschen in Mehrbettzimmern im Vordergrund, erfolgte ca. 1980 eine vermehrte Orientierung Richtung Spital. Der alte Mensch wird zum Patienten, der geheilt und gepflegt wird. Im Zentrum stehen die gesundheitlichen Probleme.
Nach 1980 orientieren sich die Institutionen am Wohnbereichskonzept. Das Wohnen wird so wichtig wie die Pflege. Im Vordergrund der Pflege und der Betreuung steht nun das Kompetenzmodell (Stärkung der vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen).
Seit ca. 1995 entstehen die Hausgemeinschaftsmodelle mit eigener Haustüre. Alle BewohnerInnen haben ein eigenes Zimmer. Zentral ist der grosse Wohnküchenbereich. Diese Gemeinschaften werden nach dem Prinzip der Normalität des Alltags geführt und gelebt. Betreuung und Begleitung stehen im Mittelpunkt. Die Pflegeleistungen werden eingekauft (Spitex). Zentrales Element dieser Entwicklung ist die Zunahme, beziehungsweise Anerkennung der Individualität, der Autonomie und der Selbstbestimmung der pflegebedürftigen alten Menschen.
Seit ca. 2000 werden trotz Pflege- und Betreuungsbedarf die Autonomie, die Selbstbestimmung und die Normalität des Alltags maximiert. Die individuelle Lebensqualität in der angestammten Wohnung oder im selbstbestimmten Wohnumfeld stehen im Zentrum.
Diese 5. Generation der Alterspflege beruht auf vier Grundpfeilern:*

  • Leben in der eigenen Wohnung mit Betreuung nach Bedarf und eigenen Wünschen.
  • Leben mit dem angestammten Lebensstandard.
  • Leben in der Gemeinschaft. Neben dem privaten Wohnen gibt es Raum und Angebote für gemeinschaftliches Leben.
  • Leben in der Öffentlichkeit. Die soziale Teilhabe ist gewährleistet. Das Wohnquartier kommt ins Haus, das Haus geht ins Quartier.

Durch meine Mitarbeit in einer Begleitgruppe von Curaviva zum Thema «Caring Communities» erfuhr ich mehr über die vielfältigen Bestrebungen in allen vier Landesteilen von staatlicher und privater Seite, den neuen Bedürfnissen gerecht zu werden. Unter den Stichworten wie Bedürfnisorientierung, Partizipation, Nutzung der Ressourcen generationenübergreifend, formelle, informelle Hilfssysteme nutzen, Vernetzung, Nachhaltigkeit bestehen und entstehen vielfältige Projekte, die den Bedürfnissen der heutigen Zeit entsprechen.
So versuche ich ganz im Jetzt zu leben und hoffe, dass auch ich im Bedarfsfall eine mir angepasste Form des selbstbestimmten letzten Lebensabschnitts finden werde.


*Angelehnt an die Typologie des Kuratoriums Deutscher Altershilfe in Köln (www.kda.de)

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