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​Mut zur Hoffnung

Bei ihrem Engagement lässt sich Renate Metzger-Breitenfellner von der Überzeugung tragen: «Menschen denen es gut geht, sind verpflichtet jene zu unterstützen, die weniger Glück haben.»
Bei ihrem Engagement lässt sich Renate Metzger-Breitenfellner von der Überzeugung tragen: «Menschen denen es gut geht, sind verpflichtet jene zu unterstützen, die weniger Glück haben.»

Text & Fotos: Monika Fischer

Wegen der Liebe brach sie das Studium der Theologie und Anglistik in Österreich ab und wurde begeisterte Hausfrau und Mutter. Als Journalistin wurde sie sensibilisiert für Frauenthemen und war die treibende Kraft im Frauenstreik 1991 in NW. Neben ihrer Arbeit im RomeroHaus Luzern engagierte sie sich für die Menschen von Srebrenica und weitere Projekte in Bosnien und Herzegowina. Renate Metzger-Breitenfellner liebt Herausforderungen und handelt, wo sie Bedarf sieht. Ausgehend von der Flüchtlingswelle 2015 war sie Mitgründerin des Begegnungsortes «HelloWelcome» in Luzern. Angesichts der offenen Haltung der Schweiz gegenüber den Ukrainer*innen fordert sie mit ihrem Team in einem Positionspapier die gleichen Möglichkeiten für alle geflüchteten Menschen.

(Fortsetzung)

Wenn ich Renate Metzger-Breitenfellner begegne, ist sie meistens in Eile. Und doch nimmt sie sich stets kurz Zeit für einen herzlichen Austausch. Auf eine Mail kommt die Antwort umgehend. Auch bei den Anlässen im «HelloWelcome» ist sie ständig in Bewegung. Sie initiiert, organisiert, vermittelt, schreibt, spricht da, hilft dort. - Für einmal nimmt sie sich doch Zeit für ein ausführliches Gespräch. Seit vielen Jahren kenne ich sie als engagierte Kollegin, auf die frau zählen kann. Jedoch wusste ich bisher wenig über ihr Leben.

Prägung durch die Herkunft
Am 18. Juni 1956 geboren und mit einer Zwillingsschwester in Kirchdorf an der Krems in Oberösterreich aufgewachsen, erzählt sie von ihrem etwas «speziellen» Elternhaus. Die Mutter sei eine überzeugte Nationalsozialistin gewesen, die Hitlerjugend deren grosse Liebe. Auch der Vater, Standesbeamter und Bauchef, sei kurz vor Kriegsende der SS beigetreten. Doch waren Gespräche über den Nationalsozialismus ein Tabu in der Familie. Und erst vor wenigen Jahren kam die wichtige Erkenntnis, dass der Grossvater als einziger der Familie nicht mit den Nazis kollaboriert hatte.
Durch einen Onkel in Engelberg konnte sie in den Ferien dort in einem Hotel ihr Taschengeld verdienen. Nach der Matura arbeitete sie mehrere Sommer- und Wintersaisons. Sie musste sich wie damals für Saisonniers üblich vor Erhalt des Ausweises in Buchs medizinisch untersuchen lassen und bekam die Aufenthaltsbewilligung nur bei vollständiger Gesundheit. «Anfänglich wurde ich oft ,Ausländerfötzli’ genannt. Es dauerte mehrere Saisons, bis ich mit den Ureinheimischen am selben Tisch sitzen durfte», sagt sie.

Hausfrau und Mutter
Bei der Arbeit lernte sie ihren Mann Ueli kennen, «einen Menschen, den alle gerne mögen». Er war acht Jahre älter und wollte schnell heiraten. Sie brach ihr Studium ab und zog nach Beckenried NW, wo Ueli als Lehrer arbeitete. «Vielleicht wollte ich einfach weg von meinem Umfeld», sagt sie nachdenklich. Vergebens suchte sie nach einer Möglichkeit, ihr Studium in kombinierter Religionspädagogik weiterzuführen. «Ich war 21, fühlte mich mausbeinallein und total unglücklich – und wurde Gottseidank schwanger». Anderthalb Jahre nach der Tochter gebar sie ihren Sohn und wurde begeisterte Vollzeitmutter und Hausfrau. «Ich habe viel gestrickt, mit Kindern gebastelt, war Fasnächtlerin, habe mich in Sportvereinen engagiert, eine Spielgruppe gegründet, die Ausbildung zur Spielgruppenleiterin absolviert, eine Gruppe junger Eltern aufgebaut. Alles hat gestimmt. Ich habe viel Neues gelernt, war glücklich und zufrieden und denke gerne an diese Lebensphase zurück.»

In der Realität angekommen
Als bei einem Wohnungswechsel die Auswahl angesichts des knappen Budgets gering war, fiel erstmals der Satz ihres Mannes: «Du könntest etwas arbeiten, bei dem du auch etwas verdienst.» Im Gedanken an die Zeitungsberichte, die sie für Vereine geschrieben hatte, schaute sie sich nach entsprechenden Stellen im Journalismus um und wurde Korrespondentin für eine Tages- und Regionalzeitungen. Die Kontakte mit alleinerziehenden Müttern sensibilisierten sie für die Lebensrealitäten der Frauen. Schleichend wuchs sie in die Frauenbewegung hinein und war 1991 eine der Mitorganisatorinnen des lokalen Frauenstreiks.

Selbstbewusste Berufsfrau
Als in Verbindung mit dem Regionalfernsehen eine Redaktionsstelle frei wurde, bewarb sie sich mit klarer Lohnforderung erfolgreich für die 100%-Stelle. Bei der Zeitungsfusion wehrte sie sich gegen die Reduktion ihrer Stelle auf 80 Prozent, nach einem Krach mit dem Chefredaktor kündigte sie von einem Tag auf den andern. Sie erfuhr nun persönlich, worüber sie früher berichtet hatte: was es heisst, arbeitslos zu sein und sich beim RAV bewerben zu müssen. Sie warf den Bettel hin und arbeitete vorwiegend als freie Journalistin – bis sie die Anfrage erreichte, in der Veranstaltungsgruppe des RomeroHauses mitzuarbeiten. Die Aufgabe interessierte sie, obwohl sie ausser journalistischer Erfahrung und einem abgebrochenen Theologiestudium wenig von dem mitbrachte, was verlangt wurde. Trotzdem bekam sie die Stelle: «Ich schätzte meine Arbeit im RomeroHaus 14 Jahre sehr. Es war für mich eine fortwährende Weiterbildung mit vielen spannenden Begegnungen. Ich lernte interessante Menschen kennen, fand die Arbeit sehr bereichernd. Und neben meinem 30-Prozent-Pensum hatte ich Zeit für meine eigenen Projekte.»

Gegen das Vergessen
2003, in Afrika grassierte Aids, unternahm sie eine dreiwöchige Bildungsreise nach Zambia und Malawi. «Das unmittelbare Nebeneinander von absolutem Elend, irrsinniger Lebensfreude und enormer Gastfreundschaft hat mich zutiefst erschüttert. Hier erfuhr ich, was das Leben im Hier und Jetzt bedeutet. Die Heimkehr in unseren Wohlstand, wo sich die Menschen nur schon wegen einer Minute Verspätung aufregen, war für mich ein Schock.» Zutiefst deprimiert wollte sie auswandern; sie wollte nur noch weg. Im selben Jahr erkannte sie auf einer Projektreise nach Kroatien und Bosnien acht Jahre nach Kriegsende: «Ich muss nicht auswandern. Es gibt auch hier genug zu tun.» Wochenlang weilte sie danach in Bosnien, wo sie unter anderen mit den Frauen von Srebrenica verschiedene Projekte aufbaute und Sensibilisierungsarbeit machte. «Die Welt darf Srebrenica nicht vergessen», war ihr grosses Anliegen. Aus diesem Antrieb entstanden zwei Bücher und ein Film mit Conny Kipfer über ihre Erfahrungen. Darunter «Srebrenica. Und was kommt morgen?» mit Porträts von acht jungen Frauen, die den Kampf ums Überleben und für Gerechtigkeit schildern.

Handeln, wo es nötig ist
«Obwohl wir in Bosnien viel Schreckliches erfahren hatten, war es eine gute Zeit, die ich nicht missen möchte», berichtet Renate Metzger. Doch dann kam der Krieg in Syrien, kam die so genannte Flüchtlingswelle. Die Situation war ähnlich wie heute: Viele Geflüchtete, überforderte Behörden. Sie sah: «Diese Menschen brauchten einen Ort, wo sie willkommen sind, wo sie sich aufhalten, Deutsch lernen und andere Menschen treffen können.» Gemeinsam mit Luisa Grünenfelder und Marga Varela gründete sie 2015 den Verein HelloWelcome erarbeitete ein Konzept und eröffnete mit Unterstützung der katholischen Kirche und der Stadt Luzern im Januar 2016 den gleichnamigen Treffpunkt in einem Pavillon in Luzern.

Willkommen im BUNDESHAUS
«Es kamen auf Anhieb enorm viele Menschen, wir waren überwältigt», schildert Renate das grosse Bedürfnis. HelloWelcome entwickelte sich rasch zu einem wertvollen Treffpunkt für Geflüchtete, Migrant*innen und Einheimische und ist aktuell ein kleines Unternehmen mit vier Angestellten in 170 Stellenprozenten. Freiwillige tauschen sich mit den Besucher*innen aus verschiedensten Kulturen aus. Sie helfen beim Erlernen der Sprache, beim Ausfüllen von Formularen, beim Aufsetzen von Bewerbungen und leisten Hilfe am PC usw. usf. Ein LernAtelier wurde gegründet, HelloWelcome organisiert Länderabende und Projekte mit anderen Institutionen wie dem Kleintheater, dem Kollektiv winkel und mit Fachhoch-Schulen. Im August 2021 wurde nach der Machtübernahme durch die Taliban eine Beratung für Angehörige von Afghan*innen eingerichtet.
Renate Metzger ist seit Beginn für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising zuständig. Sie schildert, wie der Verein wegen der Pandemie einen grösseren Raum suchen musste und 2021 zum grossen Glück im BUNDESHAUS an der Bundesstrasse 13 ein neues Lokal fand.

Eine innere Verpflichtung
Bei ihrem Engagement lässt sie sich von der Überzeugung tragen: «Menschen denen es gut geht, sind verpflichtet jene zu unterstützen, die weniger Glück haben.» Doch wie erträgt sie es, immer wieder Krieg und Elend zu begegnen? Sie erzählt von der Therapie, die sie nach der Sekundärtraumatisierung durch die Begegnungen in Srebrenica gemacht hat und meint: «Und jetzt die Bilder von den Kriegsgräueln in der Ukraine! Manchmal ertrage ich es fast nicht. Und dann sind ja auch noch die Bilder von Syrien, von Afghanistan!» Sie beschreibt, wie viel Energie und Kraft es braucht, bis man für einen einzelnen Menschen etwas erreichen kann, um ihn zum Beispiel aus Afghanistan herauszubringen. «Obwohl die Situationen oft zum Verzweifeln sind, verlieren wir die Hoffnung nicht. Wir haben ein gutes Team und es gibt neben dem Schlimmen auch Schönes. Wir weinen und lachen gemeinsam. Es gibt immer beides.» Ganz wichtig ist für sie die Unterstützung der Familie und das regelmässige Zusammensein mit den Enkelkindern, von denen sie zwei regelmässig betreut. «Ich klinke mich dann aus und bin einfach weg, kann ich doch nicht ganze Zeit in dieser Intensität leben.»

Es gibt immer einen Weg
Trotz allem will Renate Metzger-Breitenfellner die Hoffnung nicht aufgeben. Am RomeroTag 2022 sprach sie zum Thema «Hoffnung braucht Mut». Dabei zählte sie die Quellen auf, die sie hoffen lassen. Dazu gehört die Hoffnung, dass eines Tages der Status S für alle vorläufig Aufgenommenen gelten wird. Dafür wird sie sich mit andern einsetzen. Dazu hat sie im April in der Zeitschrift «aufbruch» einen Artikel veröffentlicht. Sie freut sie sich über die grosse Solidarität der Schweiz mit den aus der Ukraine geflüchteten Menschen, ist beeindruckt, dass diese ohne grosse bürokratische Hürden in der Schweiz aufgenommen werden und betont: «Das zeigt, was alles möglich ist, wenn der politische Willen da ist.» Entsprechend fordert HelloWelcome in einem Positionspapier die gleichen Möglichkeiten für ALLE geflüchteten Menschen. Renate Metzger-Breitenfellner weiss: «Auch dafür werden Einsatz und Ausdauer nötig sein. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.»

Lebensrealität von Frauen in anderen Ländern:
Lebensrealität von Frauen in anderen Ländern:
So haben die Besucherinnen im HelloWelcome die Lebensrealität der Frauen in ihrer Heimat im Jubiläumsjahr 50 Jahre Frauenstimmrecht im Rahmen eines Projektes dargestellt.
So haben die Besucherinnen im HelloWelcome die Lebensrealität der Frauen in ihrer Heimat im Jubiläumsjahr 50 Jahre Frauenstimmrecht im Rahmen eines Projektes dargestellt.

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