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Wir müssen dran bleiben

Es fühlte sich so schmerzhaft an wie damals, als ich als Teenager begriff, dass mein Bruder abstimmen darf, mir das aber verboten sein sollte. Ich war weder begriffsstutzig noch dümmer als er, aber abstimmen und wählen durfte ich als Frau nicht. In der Zwischenzeit sind beinahe 50 Jahre verstrichen, die Frauen erhielten das Stimm- und Wahlrecht, das neue Eherecht befreite sie aus der Abhängigkeit des Mannes, aber die Stimmbürgerinnen und –bürger des Kantons Luzern wählten vor acht Jahren fünf Männer in den Regierungsrat. Das Bild mit den fünf strahlenden Männern ertrug ich fast nicht. Es war zum Ko…. Die Frage drehte sich mir im Kopf: Warum um Himmels Willen ist in der heutigen Welt die Hälfte der Bevölkerung eines Kantons in einem so wichtigen Gremium nicht vertreten?

(Fortsetzung)

Wahlen mit einer Frau
In diesem Frühling sollte sich das ändern. Eine 35jährige Frau der Grünen hatte sich als Regierungsrätin aufstellen lassen. Sie ist gescheit, mit einer 15-jährigen politischen Karriere. Korintha Bärtsch ist die Kanti-Freundin meiner Tochter. Ich kenne sie gut: pfiffig, mutig moderat und nicht aus der Ruhe zu bringen. Sie wagte es, als einzige Frau gegen sechs Männer angetreten und hatte das Wunder vollbracht, nach dem ersten Wahlgang an fünfter Stelle zu stehen und zwei Männer hinter sich zu lassen.

Auf die Frau gespielt
Klar unterstützten wir sie im Wahlkampf. Wir schrieben Leserbriefe, erwähnten ihre Vorzüge, ihre Erfahrung, ihre sachlich politisierende Art, ihre Beharrlichkeit… Wir empfahlen sie in unserem Bekanntenkreis, und wir stellten ein Inserat in die Zeitung „Weil sie Brücken baut und frischen Wind bringt“. Aber unser schwarz-weiss Inserat war kaum sichtbar. Zwei bisherige Regierungsräte, beide wirtschaftstreu, hatten im Wahlkampf ein Päckchen geschnürt „Kompetenz und Erfahrung“. Wie sollten die kleinen, grauen 10 x 8 cm Inserate den grossen vierfarbigen der zwei Männer standhalten? Es wurde brutal ersichtlich, wie gut die beiden Männer von der Finanzseite genährt wurden.

Viel frauliche (und männliche) Solidarität
Spürbar war, dass auch andere Frauen eine reine Männerregierung satt hatten. Hunderte stellten sich hinter die junge Frau. Bürgerliche Männer fanden, die Frau sei viel zu jung und ohne Erfahrung. Ich dachte für mich. Meine gleichaltrige Tochter ist Ärztin und steht nahe an Leben und Tod und muss oft einschneidende medizinische Entscheide fällen. Warum soll ihre gleichaltrige Freundin nicht in einem Regierungsrat mitbestimmen? Sie konterte auf einem Podium die vermeintlich fehlende Führungserfahrung: „Es stimmt, dass ich keine Führungserfahrung über 100 Mitarbeitende mitbringe, aber Führungserfahrung heisst nicht automatisch Führungsqualität.“ Es war offensichtlich: die Männer bekamen Angst, griffen zu ungewohnten Wahlpraktiken und zielten direkt auf die Frau. Sie veröffentlichten ein weiteres riesiges Inserat mit der Spider der grünen Frau. Diese war logischerweise sozial- und grünlastig. Die Redaktion der Luzerner Zeitung war erschrocken, als sie das Inserat im Redaktionsteil sah. In Windeseile machte sie eine Befragung der Regierungsratskandidatin. Diese blieb sehr gelassen. „Wenn sie die Spider von Winiker (einer der Kandidaten) zeigen würden, dann würde die Spider genauso stark auf die andere Seite ausscheren.“ Sprich wirtschaftsfreundlich und noch einmal wirtschaftsfreundlich.

Die Enttäuschung
Die junge Politikerin blieb im Wahlkampf derart souverän, dass wir ziemlich euphorisch wurden. Ist die Sensation möglich? Wird die Junge Grüne von der Luzerner Bevölkerung gewählt, fragten wir uns. Sie wurde nicht. Sie machte zwar ein beachtliches Resultat, aber gewählt wurden einmal mehr fünf Männer. Das Bild am nächsten Tag in der Zeitung war nicht erträglicher geworden. Nach der ersten grossen Enttäuschung schrieb ich ihr: „Liebe Korintha, auch wenn du nicht ganz alles geschafft hast, gratuliere ich dir zu deinem Ergebnis. Du hast so gut gearbeitet. Ich bin voller Bewunderung für deine Auftritte, deine Aussagen und dein Verhalten. Hut ab. Das war eine strenge Zeit für dich. Wenn du sie etwas weggesteckt hast, solltest du unbedingt weitermachen. Eines Tages wirst du es schaffen mit deinen unglaublichen Fähigkeiten fürs Politisieren.“

Der schönste Erfolg
Ein paar Tage später ihre Reaktion: «Liebe Bernadette, danke. Deine Worte machen mich ja ganz verlegen…. Ja, ich habe mich geärgert. Der Kanton Luzern ist immer noch der Kanton Luzern. Konservativ, weit weg von einem Müüü Progressivität. Janu, damit müssen wir umgehen.
Der Wahlkampf war für mich eine Bereicherung. Tolle Begegnungen, interessante Gespräche, Hinstehen und meinen Anspruch vertreten (gerade das war nicht immer einfach, aber ich habe mich daran gewöhnt J ). Und meine schönstes Erlebnis und eigentlich auch mein grösster Erfolg war am 1. Mai Fest in Luzern. Da haben mich fünf junge Mädchen, 10 Jährig, in der Warteschlange zur Toilette angesprochen. Sie haben gefragt, ob ich die Frau auf dem Plakat sei, haben erzählt, dass sie selber ein Plakat auf dem Balkon haben oder eine Freundin eines im Garten hat. Ein Mädchen meinte: ‚Sie, sie müssen ja ganz viele Fans haben.‘ (Im 2. Wahlgang gab es in der Stadt und Agglo wirklich sehr viele Plakate von mir.) Sie waren begeistert, ganz aus dem Häuschen, obwohl sie die Wahl bzw. den Wahlkampf ja gar nicht wirklich einordnen konnten. Sie wussten nur, dass es um etwas Wichtiges geht. Aber es war genau das, dass sie sich mit der Frau auf dem Plakat identifizieren konnten. Sie haben wahrgenommen, dass diese Frau auf diesem Plakat irgendwie bekannt oder jemand Wichtiges sein muss. Und es war eine Frau, kein Pop-Sternchen, sondern eine Politikerin. Das hat mich extrem gefreut, und das ist genau das, was wir in der Gleichstellung brauchen. Es muss für die jungen Mädchen normal sein, dass sie sich an Frauen in Führungspersonen orientieren können. Ein wichtiges Ziel meiner Kandidatur habe ich damit erreicht.»

Wie recht sie doch hat, diese junge, mutige Frau. Wir müssen dran bleiben. Besonders jetzt bei den Herbstwahlen!

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