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Über Chancen und Risiken von Recht – lasst uns weiter verhandeln...

Maria Pilotto (1986)
Maria Pilotto (1986)

Maria Pilotto lebt in Luzern, sitzt für die SP im Grossen Stadtrat, ist Mutter zweier Kinder und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern.
Sie engagiert sich in verschiedenen Gleichstellungs-Netzwerken in Luzern.

An einem sonnigen Märztag 2021 laufe ich in Luzern zum Ratsgebäude. Ich trage meinen vier Wochen alten Sohn umgebunden und höre über den Live-Stream die Ratsdebatte des Stadtparlaments. Selbst darf ich während 14 Wochen als Parlamentarierin nicht teilnehmen, weil ich sonst im Beruf meine Mutterschaftsentschädigung verwirke. Mir als gesunde, mündige Frau wird ein Schutzmechanismus zuteil, der mich aber einschränkt. Der mich davon abhält etwas zu tun, für das ich vom Volk gewählt bin, zahlreiche Tages- und Nachtstunden unentgeltlich investiere und das ich auch gerne tue.

(Fortsetzung)

Wohlverstanden: Mutterschutz und die Mutterschaftsversicherung sind wichtige Institutionen, die lange genug auf sich haben warten lassen und auch ausgebaut werden sollten. In diesem speziellen Fall der „Parlaments-Mütter“ ist die rechtliche Organisation der Sozialversicherungen so, dass sie mich einschränkt. 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts werden gewisse Frauen also immer noch von der Ausübung ihrer Rechte ausgeschlossen.*

Gleichstellungsthemen im Schatten des Jubiläums
Das Jubiläum des Schweizer Frauenstimmrechts ist für mich ein spannender Einblick in die damalige Zeit. Wir hören Geschichten, die aus heutiger Sicht unglaublich tönen, und dennoch können wir den Geist der damaligen Zeit vermutlich nur erahnen. Das führt vielleicht dazu, dass wir uns zufrieden zurücklehnen. Wie das Beispiel eingangs jedoch zeigt, führen auch die heutigen Regelungen zu einschränkenden Situationen, die ausschliesslich Frauen betreffen. Das zeigt sich auch in anderen Bereichen: eine Kämpferin des Frauenstimmrechts erzählte an einer Veranstaltung von ihrem damaligen Engagement für die sprachliche Sichtbarkeit von Frauen in Schulbüchern und Zeitungen (vgl. auch Beitrag in Frauenweis(s)heiten März 2021). Heute sei dies nicht mehr so ein Thema. Auch wenn sich sicher einiges getan hat, sind die aktuellen Leitfäden teilweise gut 20-jährig und wohl bei vielen in Vergessenheit geraten.

Diskussionen wieder aufnehmen und weiterführen
Wir sind also auf dem Weg zur tatsächlichen Gleichstellung mittendrin stehengeblieben. So hat das Aufbringen der Sichtbarkeit von Frauen in der städtischen Kommunikation meine Mailbox mit beleidigenden Emails – von Männern, aber auch von Frauen – gefüllt. Diese Rückmeldungen schmerzen, zeigen jedoch genau auf, dass (Bild-)Sprache mehr ist als blosse Worte und dass gerade diese Diskussion in einer respektvollen Form wichtig wäre. Die heutigen Herausforderungen im Gleichstellungskampf scheinen also darin zu liegen, die Diskussionsplattformen für Themen wieder zu öffnen, in denen vor einigen Jahren Zwischenerfolge erreicht werden konnten. Sich nicht nur von Jubiläum zu Jubiläum zu hangeln, sondern die Entstehungsgeschichte heutiger Lösungen zu verstehen und sichtbar zu machen, was diese leisten oder wo sie noch blinde Flecken haben.

Recht auf rechtliche und tatsächliche Gleichstellung
Unsere Verfassung verlangt in Artikel 8 (dieses Jahr übrigens 40jährig) die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann. Neben der tatsächlichen gesellschaftlichen Verankerung des Frauenstimmrechts konnten wir in den letzten Jahrzehnten diesem Anspruch einiges näherkommen, mit dem neuen Eherecht, der Mutterschaftsversicherung oder dem Gleichstellungsgesetz. Jedoch sind wir auch hier noch auf dem Weg. So wird oftmals erwähnt, dass die rechtlichen Grundlagen für die Gleichstellung bestehen und Frauen klagen sollen, wenn sie sich zu Unrecht behandelt fühlen. Die Begleitung einer Kollegin bei einer Lohngleichheitsklage gegen einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber machte mir klar, wie einsam frau auf diesem Weg ist. Sowohl in den Mühlen des Rechts, als auch bei informelleren Gesprächen, wo es um fünfstellige Abfindungen und Schweigeverpflichtungen geht. Für die Bekämpfung von Unrecht allein das Einfordern von Recht zu verlangen, greift also zu kurz. Damit wird einmal mehr die strukturelle Dimension der Gleichstellung verkannt und mit diesem individualisierten Vorgehen die Chance vergeben, als Gesellschaft zu lernen. So könnten Unternehmen durch einen transparenten Umgang mit Fehlern auch zeigen, dass sie sich ernsthaft für Lohngleichheit einsetzen, und Frauen lernen, was ihre Arbeit Wert ist und wie sie diese Anerkennung einfordern können.

Öffentliche Diskussionen über Care-Arbeit
Das Verkennen struktureller Dimensionen zeigt sich auch im neuen Urteil des Bundesgerichts zur Arbeitsverpflichtung geschiedener Frauen. Diese allein zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts zu verpflichten, reicht nicht aus. Auch wenn sich jeweils die Frage stellt, ob die Gesetze (und Rechtssprechungen) veränderte Realitäten abbilden oder diese befördern können, müssen solche Entscheide in die Zeit passen. Sie brauchen gesellschaftliche Begleitmassnahmen, damit diese Frauen nicht alleine gelassen werden. Und auch wenn es heutzutage vermutlich weniger Frauen sind als in früheren Jahren, die davon negativ betroffen sind, gehört ihre neue Realität auf den Tisch der Gleichstellungsdiskussionen.
Ich bin deshalb froh um all die Organisationen und Personen, die sich diesen Themen und ihrer öffentlichen Diskussion annehmen. Initiativen wie die «Eidg. Kommission dini Mueter» (www.ekdm.ch), «Wirtschaft ist Care» (wirtschaft-ist-care) oder «economie feministe – Plattform für feministische Ökonomie» (economiefeministe) geben der Care-Arbeit und ihrer Rolle in der Gesellschaft eine wichtige Stimme. Ich freue mich darauf, in den kommenden Jahren wieder verstärkt in die Debatte eines Hausfrauenlohns oder des Social Return on Investment der Kinderbetreuungsarbeit einzusteigen.


*Eine Änderung des Erwerbsersatzgesetzes wird derzeit in Bundesbern beraten.Parlament: «Teilnahme an Parlamentssitzungen auch während des Mutterschaftsurlaubs»

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