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​Weg von der geschlechtsspezifischen Berufswahl!

Marianne Stohler

In meiner Tätigkeit als Berufs- und Laufbahnberaterin und später als Co-Leiterin der Berufsberatung des Kanton Basel-Stadt wurde die Berufsbildung für junge Frauen und Männer und die Kriterien für die Berufswahl immer mehr zum Thema. Der Fokus der Aufmerksamkeit richtete sich vermehrt auf die Tatsache, wie einseitig und geschlechtsbetont die Berufswahl von Jungen und Mädchen ausfiel. So interessierte sich der Grossteil der jungen Frauen fast nur für die als typisch weiblich geltenden Berufe. Für die meisten der jungen Frauen war klar, dass sie später heiraten, eine Familie gründen und den Beruf an den Nagel hängen würden. Dies ganz dem Zeitgeist entsprechend. Die sogenannten Frauenberufe genossen auch weniger Ansehen und waren schlechter bezahlt.

(Fortsetzung)

Nur langsam begann sich das zu ändern. Der Wert einer Berufsausbildung stieg im allgemeinen Bewusstsein, vielleicht nicht zuletzt durch die steigenden Scheidungsraten. An unserer Stelle begannen wir mit den ersten Projekten, um die eingeschränkte Berufswahl von jungen Männern und Frauen zu erweitern.
Wir organisierten Schnuppernachmittage für Mädchen in technischen Berufen, kreierten Slogans wie «Mädchen in allen Berufen» und versuchten auch in der Beratung den Fokus der jungen Frauen zu erweitern. Zudem achteten wir darauf, bei der Bezeichnung eines Berufes beide Geschlechter zu berücksichtigen.
Der Erfolg dieser Aktionen war eher bescheiden. Die Schnuppernachmittage waren zwar gut besucht, aber die konkreten Auswirkungen gering. Wir freuten uns auf alle Fälle sehr über die erste Polymechanikerin, die erste Zimmerin, aber auch über den ersten Pharmaassistenten.

Es brauchte neben den gesellschaftlichen auch gesetzliche Änderungen
Die Forderung nach Gleichstellung und Gleichberechtigung auch in der Berufslehre wurde immer lauter. So waren die klassischen Frauenberufe in den Bereichen Gesundheit und Haushalt usw. lange nicht im Bundesgesetz geregelt, sondern z.B. beim Roten Kreuz. Langsam eroberten sich die ersten jungen Frauen einen Platz in den sogenannten Männerberufen, so zum Beispiel als Malerinnen oder Schreinerinnen. Aber erst mit dem Gleichstellungsgesetz 1996 wurde der Slogan «Mädchen in allen Berufen» überall in konkrete Aktionen umgesetzt und die Akzeptanz in der Gesellschaft, alle Berufe für beide Geschlechter zu öffnen, grösser. Mit der Revision des Berufsbildungsgesetzes im Jahre 2020 wurden dann endlich auch bei den Berufsbezeichnungen beide Geschlechter berücksichtigt (z.B. Zimmermann, Zimmerin).
Die Lehrbetriebe machten sich bereit, auch junge Frauen auszubilden. Grundsätzlich erlebte ich die Lehrmeister sehr offen, auch jungen Frauen eine Berufslehre anzubieten. Oft stellten sich ihnen äusserliche Barrieren in den Weg. So mussten zum Beispiel getrennte Toiletten für Frauen und Männer installiert werden.
Die Lehrmeister stellten auch fest, dass sich die Atmosphäre in den Betrieben dank Einbezug der Frauen positiv veränderte, sexistische Sprüche abnahmen und die Motivation stieg.

Und heute?
Trotz allen Fortschritten wählen die Frauen auch heute noch eher die klassischen Frauenberufe, auch in den Studiengängen. Das zeigt ganz klar die Statistik. In Wirtschaft und Verwaltung, im Handel sowie im Gastgewerbe ist heute der Anteil Frauen und Männer fast ausgeglichen. In der Krankenpflege und der Sozialarbeit und Beratung sind die Frauen in der Überzahl, während die Männer in den Berufsfeldern Elektrizität und Energie, im Baugewerbe, im Maschinenbau und der Metallverarbeitung sowie in der Informatik klar dominieren. Dies sind oft auch die Berufe, in denen es sehr gute Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gibt.
Zudem spielt auch heute der Zeitgeist noch eine Rolle. So kann festgestellt werden, dass die grünen Berufe wie Gärtnerin, Bäuerin oder die gestalterischen Berufe (Malerin, Köchin oder Schreinerin) eine Aufwertung erhielten und vermehrt nachgefragt werden von beiden Geschlechtern. Nicht vergessen darf zudem werden, dass früher der Beruf fürs Leben gewählt wurde, während heute ein Berufswechsel häufig ist, auch durch die neuen Möglichkeiten der Fortbildung an höheren Fachschulen und Fachhochschulen.

Noch bleibt viel zu tun
Je mehr junge Männer sich auch den sogenannt typischen Frauenberufen wie Kindergärtner, Pharmaassistent oder Krankenpfleger zuwenden, desto eher steigen die Verdienstmöglichkeiten und dadurch auch das Prestige der Berufe.
Es gilt auch zu beachten, dass bildungsnahe Eltern ihren Kindern eher ein Studium oder aber eine entwicklungsfähige, eher männliche Berufslehre empfehlen. Bildungsferne Eltern hingegen halten eher an traditionellen Berufen fest. Unkenntnis, Ängste und Finanzen sind mögliche Gründe.
Ja, es ist gar nicht so lange her, seitdem jeder Beruf beiden Geschlechtern offensteht, und es wird wohl noch dauern, bis alte Vorurteile ganz verschwinden und die Gleichberechtigung in der Berufsbildung, aber auch die Arbeitsteilung in der Familie zur Selbstverständlichkeit wird.

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