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Den eigenen Weg als Frau gehen

«Den Rückblick auf meinen Lebensweg erfahre ich als Geschenk»
«Den Rückblick auf meinen Lebensweg erfahre ich als Geschenk»

Foto & Text: Monika Fischer

Als einziges Kind hätte sie den elterlichen Bauernhof übernehmen müssen. Doch fehlte dazu der passende Mann. Später fand Cécile Malevez durch die Erfahrungen bei der Geburt der beiden Töchter ihre Bestimmung. Jahrzehntelang leistete sie Pionierarbeit im Bereich der Geburtsvorbereitung. Das Vertrauen in die eigene Intuition gab ihr immer wieder den Mut zum Wagnis. So auch beim Bau eines Hauses für gemeinschaftliches Wohnen. Eine rheumatische Erkrankung stellt die 76-Jährige vor eine neue Herausforderung.

(Fortsetzung)

«Meine Energie schien unerschöpflich. Ich hatte viele Ideen für Projekte und dachte, 100, ja 110 Jahre alt zu werden, weil ich das Leben so interessant und schön finde. Seit der Rheumaerkrankung vor acht Monaten muss ich mich damit auseinandersetzen, dass ich alt bin. Wenn der Körper macht, was er will, kann ich die Selbstbestimmung in den Kamin schreiben.» Cécile Malevez berichtet von ihrem geplanten Filmprojekt, das sie aufgeben musste. «Jetzt ist wohl fertig mit neuen Projekten. Diese Einsicht ist schwer zu akzeptieren, obwohl ich spüre, dass es nicht mehr geht. Nun bin ich herausgefordert, mich mit persönlichen Themen zu befassen.»
Ihr vom Kummer gezeichnetes Gesicht verändert sich schlagartig, wenn sie von ihren beiden Enkelkindern erzählt, die sie regelmässig hütet. «Diese Abwechslung ist für mich enorm wichtig. Die Kinder bereiten mir eine Riesenfreude und erfüllen mich.»
Dankbar ist sie auch für ihre Wohnsituation, kann sie doch bei Bedarf auf Unterstützung zählen.

Vision fürs Wohnen im Alter realisiert
Seit 13 Jahren wohnt sie in einem Mehrfamilienhaus mit Gemeinschaftsraum. Das Projekt entstand auf ihre Initiative. Sie wohnte in einem Reihenhaus auf drei Stockwerken, ihre verwitwete Freundin in einer 5-Zimmer-Wohnung. Die beiden Frauen suchten nach dem Auszug der Kinder nach einer Lösung fürs Alter. Beiläufig erzählte Cécile einem Kollegen von ihrer Vision, im Alter am Hang mit Blick auf den Sarnersee zu wohnen. Dieser erzählte ihr von einem Bauplatz, der von einer Erbengemeinschaft zum Verkauf stehe. «Da fiel mir die Idee eines Mehrfamilienhauses für gemeinschaftliches Wohnen wie selbstverständlich zu.» Sie überlegte nicht lange und packte zu. Die Freundinnen veräusserten ihr Wohneigentum, kauften den Bauplatz, zogen einen Architekten bei und realisierten das Mehrfamilienhaus mit fünf Wohnungen und einem grossen Gemeinschaftsraum. «Das Zusammenleben verändert sich immer wieder und gestaltet sich zyklisch», fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. «Anfänglich trafen sich Einzelpersonen und Familien wöchentlich zum gemeinsamen Mittagessen. Die Kinder wurden älter, die Mütter wieder vermehrt berufstätig, die Bedürfnisse änderten sich, so dass wir uns heute spontan in verschiedenen Zusammensetzungen mal zum Essen, zum Apéro, zum Plaudern treffen.»

Suche nach eigenem Weg
«Das Vertrauen in meine Intuition gab mir immer wieder den Mut, etwas zu wagen», freut sich Cécile im Rückblick auf ihre Vergangenheit. Als einziges Kind wuchs sie auf einem Bauernhof auf. Ihr Vater litt darunter, «nur» eine Tochter zu haben, was sie zeitlebens prägte. Wie selbstverständlich besuchte sie die Bäuerinnenschule. Als sich der passende Bauer nicht einfand, sah sie für sich keine Zukunft als Bäuerin. Sie fand Arbeit in verschiedenen Institutionen für suchtbetroffene Menschen und besuchte berufsbegleitend die Schule für Sozialarbeit. Nach der Ausbildung arbeitete sie im Ulmenhof in Ottenbach, einer entwicklungs- und ressourcenorientierte Therapiestation für substanzabhängige Menschen. Bald wusste sie: «Ich will nicht ein Leben lang Feuerwehrarbeit machen.» Für den Aufbau eines Projektes suchte sie ein grosses Haus, in dem Menschen nach einem Therapieaufenthalt wohnen und arbeiten und so Struktur und Heimat finden können. Im Kanton Obwalden fand sie ein passendes Haus. Doch griff die Idee nicht, die Menschen aus Zürich wollten nicht aufs Land ziehen.

Selbstverwaltete Wohn- und Hausgemeinschaft
Inzwischen verheiratet, gründete sie mit ihrem Mann und anderen Interessierten eine selbstverwaltete gemeinschaftliche Haus- und Arbeitsgemeinschaft. Diese bestand neben Einzelpersonen aus einer Familie mit vier Pflegekindern und ihrer eigenen Familie. Sie lebten sehr bescheiden von Selbstversorgung mit Gemüse aus dem eigenen Garten und stellten für den Lebensunterhalt Boutiqueartikel her. Mit Bilderrahmen aus verschiedenen Hölzern brachten sie ein neues Produkt auf den Markt, das sie an Messen präsentierten. «Das Geschäft lief super. Es gab eine Zeit, wo mein Mann in der ganzen Schweiz herumfuhr, um das passende Holz für die beliebten Bilderrahmen zu finden. Mit der Zeit erweiterten wir das Angebot. Schlussendlich beschäftigten wir bis zu 15 Personen, und das alles selbstverwaltet! Es war abenteuerlich, herausfordernd und lehrreich. Mit unserer ungewohnten Lebensweise waren wir jedoch für das Dorf eine echte Herausforderung.»

Geburt als wegweisende Erfahrung
Nach acht Jahren flatterte die Kündigung ins Haus, und alle Beteiligten gingen ihren eigenen Weg. «Für uns hatte das Leben in der WG ohnehin nicht mehr gestimmt. Wir brauchten nach der Geburt der beiden Töchter mehr intimen Raum für uns als Familie.»
Überhaupt waren die beiden Geburten das zentrale Ereignis im Leben von Cécile Malevez. Sie verstand nicht, warum Kurse zur Geburtsvorbereitung bis Ende der 1970er-Jahre nur den werdenden Müttern angeboten wurden. Vor der Geburt der zweiten Tochter 1980 fand sie in Zürich eine einzige Hebamme, die für die Geburtsvorbereitung auch die Väter zuliess. Die einschneidenden Erfahrungen der beiden Geburten veränderten ihr Leben und ihren beruflichen Werdegang. «Eine Geburtsvorbereitung war für mich mehr als richtiges Atmen und Pressen. Wichtig waren dabei auch die psychosozialen Aspekte. Die Frauen sollten wissen, was bei einer Geburt geschieht und im Rhythmus ihres Körpers und gemäss ihren Bedürfnissen gebären können.» Deshalb besuchte sie erneut die Kurse ihrer ehemaligen Hebamme und bat diese, sie von Frau zu Frau in psychosozialer Geburtsvorbereitung auszubilden. «In zahlreichen Gesprächen befähigte sie mich, selber Kurse anzubieten.» Cécile Malevez erarbeitete ein eigenes Konzept und besprach dieses mit Gynäkologen und anderen Fachleuten. Ihre ersten Kurse im Bekanntenkreis stiessen auf ein enormes Bedürfnis. Durch Mund-zu Mund-Propaganda wurde sie in der ganzen Innerschweiz bekannt. Über 2000 Paare hat sie in drei Jahrzehnten auf die Geburt vorbereitet. Seit der Scheidung verdiente sie damit ihren Lebensunterhalt.

Kursleiterin auch in Bosnien
Bald konnte sie nicht mehr alle Anfragen allein bewältigen. Zusammen mit Fachpersonen und im ständigen Austausch mit Hebammen baute sie einen zweijährigen Kurs für Ausbildnerinnen mit Anerkennung in Erwachsenenbildung auf. «Wenn wir eine natürliche Geburt mit einem Haus vergleichen, entwickelten wir dazu einen Baustein nach dem anderen und fügten alles zusammen.» Mit der Befähigung von über 100 Geburtsvorbereiterinnen legte sie den Grundstein für eine Ausbildung, die heute in den Händen der Hebammen liegt. Für diese Pionierarbeit wurde sie 2001 mit dem Lebensraum-Preis ausgezeichnet. Mehr noch als diese Ehrung freuen sie die vielen Echos von Frauen: «Die Kurse haben mich gestärkt, meinen persönlichen Weg als Frau zu gehen.»
Im Kontakt mit einer geflüchteten Hebamme aus Bosnien entstand die Idee, auch dort Kurse für Gesundheitsvorbereitung anzubieten. Gemeinsam erarbeiteten die beiden Frauen ein Konzept für ein vierjähriges psychosoziales Projekt zur Betreuung von Schwangeren und Frauen. 1990 wurde der erste von der Deza finanzierte Kurs erfolgreich durchgeführt. Mit Unterstützung durch Cécile Malavez baute die ehemalige Flüchtlingsfrau in Bosnien ein Mütter-Gesundheitszentrum erfolgreich auf.

Kreativ auf Bedürfnisse reagiert
Bei einer Mutterschaftsvertretung bei der Stelle für Gesundheitsförderung im Kanton Obwalden stellte Cécile fest: «Häufig werden Menschen, die es am nötigsten hätten, mit Angeboten nicht erreicht. Daraus folgerte sie: «Um ein Thema unter die Leute zu bringen, muss es mit guten Beispielen visualisiert und in deren Wohnungen gebracht werden.» Bald im Pensionsalter wurde sie erneut aktiv. Auf der Basis des Vereins für Familien- und Frauengesundheit FFG schuf sie als Produzentin in enger Zusammenarbeit mit Fachpersonen und mit Annemarie Friedli, die früher als Regisseurin beim Schweizer Fernsehen gearbeitet hatte, fünf Videofilme zu den Themen Schwangerschaft-Geburt-Elternschaft, Postnatale Erschöpfung und Depression, Pflegende Angehörige, Angehörige von psychisch kranken Menschen sowie Kinder von psychisch kranken Eltern (www.ffg-video.ch). Die Filme und die damit verbunden Veranstaltungen fanden sehr guten Anklang. Umso mehr bedauert sie, dass sie ein weiteres geplantes Filmprojekt aufgeben musste. Doch ist sie nicht müde geworden, muss ihre Kräfte jedoch vorläufig vor allem für sich einsetzen. «Ich war im Leben stets auf die Zukunft angelegt. Jetzt erfahre ich den Rückblick auf meinen Lebensweg als echtes Geschenk.»

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