Marie-Louise Barben
«Wir wollen angesprochen werden. Wir wollen in der Sprache sichtbar sein und nicht nur mitgemeint, wenn von Lehrern, Ärzten oder Künstlern die Rede ist.» Solche Forderungen wurden in den 1970er und -80er Jahren von der neuen Frauenbewegung vehement gestellt. Für mich persönlich waren sie einer der wichtigsten Schlüssel zur Emanzipation. Der Widerstand war gross. Männer und einige Frauen schlugen den sprachbewussten Frauen die Gegenargumente um die Ohren. Die Diskussion um Sinn und Unsinn einer gendersensiblen Sprache tobt bis heute. Und nun hat der Duden im Januar dieses Jahres das generische Maskulinum beerdigt! Empörung HERRscht.
(Fortsetzung)
Zwei Pionierinnen
Am Anfang standen zwei Sprachwissenschafterinnen: Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz, beide habilitierte Linguistinnen im universitären Betrieb. Luise Pusch erzählt: Auf der Packungsbeilage von Tampons stiess ich auf den folgenden Satz: «Die Menstruation ist bei jedem etwas anders.» Bei JEDEM?? Sie, die mit einem anspruchsvollen linguistischen Thema promoviert hatte, nimmt daraufhin die deutsche Sprache unter die Lupe und entlarvt sie als Herrschaftsinstrument. Das bedeutet das Ende ihrer universitären Laufbahn.
Senta Trömel-Plötz übt seit den späten 1970er Jahren Kritik am männlich geprägten Sprachverhalten. Sie analysiert Gespräche von geschlechtergemischten Gruppen und zeigt auf, wie die Frauen übergangen und klein gemacht, ja zum Verschwinden gebracht werden; auch wie sie sich selber klein machen und den Redefluss der Männer in Gang halten. Senta Trömel-Plötz kann in der Folge an keiner deutschen Universität dauerhaft Fuss fassen.
Die Publikationen «Das Deutsche als Männersprache» (1984) von Luise Pusch und «Frauensprache – Sprache der Veränderung» (1981) von Senta Trömel-Plötz erreichten ein grosses Publikum und wurden im ausseruniversitären Bereich bekannt und hoch geschätzt.
Das Fräulein ist tot
Ich habe beide Frauen live erlebt. Luise Pusch war z.B. in ihren Sprachglossen dermassen genau und zugleich sarkastisch, dass frau zwischen ausgelassener Heiterkeit und Erstarrung ob der Monstruositäten, die sie aufzeigte, hin- und hergerissen war.
Senta Trömel-Plötz zeigte die Gesprächsmechanismen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen in aller Schärfe auf, so dass sich jede Frau selber darin erkennen musste. Betroffenheit machte sich breit.
Angeregt von den neuen Erkenntnissen probierte ich selber einiges aus. Ich arbeitete damals in der evangelisch-reformierten Kirche. Jede Person, die mich am Telefon nicht mit dem Namen, sondern mit «Grüessech Frölein» begrüsste, bekam zu hören: «Das Fräulein ist tot.» Stille auf der anderen Seite der Leitung oder ein gehauchtes: «Das tuet mir aber itz leid.»
In Gesprächsgruppen begannen wir Frauen einander zu unterstützen, z.B. wenn ein Mann genau das, was eine Frau kurz vorher gesagt hatte, wiederholte und Aufmerksamkeit erfuhr, während sie nicht gehört worden war. Oder wir kritisierten die häufigen Unterbrechungen und bestanden darauf, unseren Redebeitrag zu beenden. Wir beharrten auf der Nennung beider Geschlechter – Leserinnen und Leser -, auch wenn die Männer die Augen verdrehten. Das führt mich zu folgendem Exkurs:
Zankapfel: Das generische Maskulinum
Es ist vorerst eine grammatikalische Festlegung: Das generische Maskulinum ist (..) die «Fähigkeit maskuliner Personenbezeichnungen, geschlechtsabstrahierend verwendet zu werden». Das bedeutet: Im Satz «Alle Lehrer sind heute in einer Fortbildung» sind die Lehrerinnen mitgemeint. Der Satz «Alle Lehrerinnen sind heute in einer Fortbildung» bezieht sich hingegen ausschliesslich auf die weiblichen Lehrpersonen. Das männliche Genus regiert also das weibliche. Das war und ist der Stein des Anstosses.
Es gibt viele Möglichkeiten, beide bzw. alle Geschlechtervarianten sichtbar zu machen: z.B. Lehrerinnen und Lehrer, Lehrer/innen, LehrerInnen. Lehrer_innen, Lehrer*innen, Lehrer:innen. In den beiden letzten Formen stehen Sternchen (*) oder Doppelpunkt (:) für den Einbezug von LGBTIQ-Menschen (=lesbisch, schwul, bisexuell, trans, intergeschlechtlich oder anders «queer»).
Letztlich wäre auch das generische Femininum für die nächsten paar Jahrhunderte eine Möglichkeit, sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit, aber lassen wir das…. Ende des Exkurses.
Grosse Aufregung
Seit vierzig Jahren löst diese Diskussion um die Sichtbarmachung des weiblichen Geschlechts, in den letzten Jahren der sexuellen Orientierung allgemein, in der Sprache hitzige Diskussionen aus. Die einen beteuern unermüdlich, dass «die Lehrer» eben nicht nur Männer seien, die Frauen hätten nur das «Gefühl, dass sie vom neutralen Plural nicht mitgemeint»* seien. Die andern beklagen die Ästhetik und die Schwerfälligkeit der Sprache. Die dritten erregen sich über «die typografischen Scheusslichkeiten wie Gendersternchen, Binnen-I oder Gender-Gap»** und fragen sich verzweifelt, wie sie denn das Sternchen aussprechen sollen. Die Antwort ist einfach: mit dem Kehlkopfknacklaut, dh mit einem kurzen Stopp zwischen der Personenbezeichnung und der Endung.
Am 8. Januar 2021 hat der Duden das generische Maskulinum beerdigt: Ein Mieter ist fortan «eine männliche Person, die etwas gemietet hat». Geht doch!
Mit Augenmass
Ich wage mal zu behaupten, dass die Texte, die ich schreibe, sowohl gendersensibel wie auch lesbar sind. Mehr nicht. Andrerseits: Geschlechtergerecht formulierte Gesetzestexte beispielsweise sind tatsächlich schwerfälliger als solche, die nur in männlicher Form verfasst sind. Ein Gesetzestext muss aber in erster Linie genau sein und nicht literarisch wertvoll. Und ich bin der Meinung, dass es den Behörden wohl ansteht, in all ihren Verlautbarungen eine hohe Gendersensibilität an den Tag zu legen. Sie sind jedoch keine Sprachpolizei. Eine Zeitlang war es unter Feministinnen verpönt, das Pronomen «man» wegen seiner Nähe zu «Mann» zu verwenden. Mittlerweile kann ich grosszügig darüber hinwegsehen, wenn es nicht allzu penetrant auftritt. Immer noch stört es mich, wenn eine Frau von sich sagt: «Ich als Psychologe…», weil es schlicht und einfach grammatikalisch falsch ist.
Gendersensibilität ist nicht nur ein Wunsch, sondern eine Forderung, was halt ein bisschen Arbeit macht. Und gleichzeitig sind Kreativität, Einfallsreichtum und Offenheit gefragt.
*So Martin Ebel im Tages-Anzeiger: Gendern? Gerne! Aber nicht nach Vorschrift. 18.7.2019
**Ebenda
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