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Mein persönlicher Rassismus

Bernadette Kurmann

Alle Menschen sind Rassisten, lese ich in diesen Tagen rund um den Tod des Schwarzen George Floyd. Er ist der Mann, der in den USA kürzlich von der Polizei aufs Brutalste umgebracht worden ist. Viele Studien bestätigen diese rassistische, dunkle Seite des Menschen. Mein persönlicher Rassismus beschäftigt mich, und er lässt mich nicht mehr los.

(Fortsetzung)

Ich erkenne meinen Rassismus, wenn ich im Zug intuitiv nicht neben einem schwarzen Mann Platz nehme. «Ach, neben einer schwarzen Frau, würde ich ohne Probleme absitzen», versuche ich mich zu beruhigen. Dabei wird mir bewusst, dass hierzulande in der Regel nicht der schwarze Mann der Vergewaltiger von Frauen ist, sondern es sind grossmehrheitlich Männer aus der eigenen Familie und Männer im Bekannten- und Freundeskreis. Es gibt also keinen Grund, nicht neben dem schwarzen Mann im Zug Platz zu nehmen.

Sind schon Kinder Rassisten?
Ich erinnere mich an die kleine Italienerin, die uns Erstklässlern von der Lehrerin vorgestellt worden war. Wie war ich begeistert von ihren dunkeln Augen und den pechschwarzen Haaren. Ich wollte unbedingt ihre Freundin sein, und viele meiner Klassenkameradinnen auch. Das Mädchen faszinierte uns, weil es anders war als wir, und weil wir dieses Andere kennenlernen wollten. Sind Kinder frei von Rassismus? Meine Freundin mit einem schwarzen Schwiegersohn und halbschwarzen Enkeln hält dagegen: «Mein Enkel wurde im Kindergarten kürzlich «mit Mohrenkopf» beschimpft.» Die erste schmerzhafte Erfahrung mit Rassismus, die ihre Tochter und der kleine Sohn erlebt haben. Ein Schock. Sind Kinder wirklich schon Rassisten oder doch vielmehr ihre Eltern?

Wie war ich glücklich, an der Fasnacht auf dem «Negerwagen» zu sitzen mit schwarzer Maske und einem Baströckchen. Ich fühlte mich so schön, und für mich war klar, dass der Bastrock die einzig logische Bekleidung für schwarze Mädchen in einem heissen Land ist. Horden von Mädchen verkleideten sich wie ich und sassen auf diesem Wagen. Glücklich und stolz waren wir, in eine andere Haut geschlüpft zu sein. Rassistisch? Ich weiss nur, dass ich heute von dieser Gepflogenheit nicht einmal meinen Töchtern erzählen kann, ohne für den Begriff «N…wagen» ausgebuht zu werden. Aber ich finde keine anderen Worte für mein Fasnachtserlebnis. Also erzähle ich die Geschichte nicht mehr.

Das nickende «N…lein»
Fast andächtig brachte ich meinen Göttibatzen zum «N…lein» in den Kindergarten. Es bedankte sich jeweils artig mit Kopfnicken, wenn eines der Kinder den Batzen ins Kässeli warf. Ich lernte dabei, dass in Afrika Kinder arm sind und unsere Unterstützung brauchen. Ich fühlte mich gut dabei. Klar, heute erschreckt mich diese Vorstellung des stets nickenden, kleinen schwarzen Kindes. Eine scheussliche Idee, die Abhängigkeit schwarzer Menschen darzustellen. Wie wäre es wichtig gewesen, darüber zu reden, dass es im Grunde genommen ganz normal ist, den Reichtum der Schweiz mit weniger Privilegierten zu teilen. Das schwarze Kindlein hätte sich dafür nicht einmal bedanken müssen. Eine solche Auseinandersetzung wurde verpasst, und wir Schweizer konnten uns überlegen fühlen.

Ist schwarz falsch?
Oder wenn wir den «Schwarzen Peter» spielten. Verloren hatte, wer ihn zog. Verlierer waren die Schwarzen und ich mit ihnen, wenn ich diese Karte zog. Mir fiel damals die verheerende Symbolik, die Abwertung des Schwarzen, nicht einmal auf. Aber bestimmt habe ich «den Schwarzen als Verlierer» unbewusst aufgenommen. Ich bin im katholischen Kanton Luzern aufgewachsen. In meinem familiären Umfeld gab es Priester, die nach Afrika zogen, um die Schwarzen zu missionieren. Meine Eltern unterstützen sie mit Geld, weil sie etwas Gutes tun wollten. Nie wäre mir damals in den Sinn gekommen, das Missionieren zu hinterfragen. Heute erschreckt mich diese Machenschaft der Kirche. Sagt sie uns doch, dass alle Schwarzen in ihrem Glauben falsch liegen und zu guten Christen umgewandelt werden müssen.

Die Diskussion um den «M-Kopf»
Die Medien sind von der Diskussion rund um den «Mohrenkopf» beherrscht. Die Migros hatte ihn aus Rassismus-Gründen aus dem Sortiment gezogen. Seit Kindheit ist der «M-Kopf» meine Lieblingsspeise. Ich komme selbst heute noch ins Zittern, wenn ich einen «Dubler-M-Kopf» im goldenen Gewand vor mir sehe. «Da wird mit Flinten auf Spatzen geschossen», geht es mir durch den Kopf. Ich sehe im Fernsehen, wie Firmenchef Dubler wild gestikulierend seinen «M-Kopf» verteidigt. Ich lese in der Zeitung pro und contra M-Kopf: persönliche Freiheit versus rassistische Handlung. Ich lese Statements von schwarzen Frauen und Männern, wie sehr sie sich durch diese Süssigkeit diskriminiert fühlen. Zum ersten Mal wird mir richtig bewusst, dass der Name dieses süssen Dings andere Menschen verletzt. «Wenn das so ist, dann ist eine Namensänderung angebracht, Herr Dubler», denke ich. «Ihre Süssigkeit werde ich auch unter neuem Namen kaufen.»

Wie schwarzen Menschen begegnen?
Ich sehe in der «Arena» des Fernsehens DRS eine Debatte mit schwarzen Männern und Frauen, Schweizerinnen und Schweizern. Ich höre, wie viel sie sich an Rassistischem im Alltag anhören und gefallen lassen müssen. Ich bin unglücklich darüber. Dann erwähnt eine der Frauen, wie sie immer wieder danach gefragt werde, woher sie den ursprünglich komme. Sie versteht diese Frage so, als ob nur weisse Menschen zur Schweiz gehörten. Ich selber habe genau diese Frage schwarzen Menschen auch schon gestellt, aber die Frage der Nationalität stand für mich nicht im Zentrum. «Darf ich diese Frage nie mehr stellen?» Die Diskussion lässt mich ratlos und hilflos zurück. Wie schwarzen Menschen in der Schweiz begegnen, damit ich sie nicht verletze? Ich finde keine Antwort.

Weiss – Synonym für Macht
Im Fernsehen läuft ein Film über den schwarzen amerikanischen Schriftsteller James Baldwin. Er hatte sich ein ganzes Leben lang mit Rassismus beschäftigt. Am Ende des Films sagt er, dass weisse Menschen sich die Frage stellen lassen müssten: »Wie konnte es dazu kommen, dass ihr schwarze Menschen für euch arbeiten liesset. Wie konnte es dazu kommen, dass ihr sie gekauft habt und geglaubt habt, sie seien euer Eigentum?» Er fährt fort: «Es gibt auf dieser Welt sehr viel mehr schwarze oder farbige Menschen als weisse. Weiss ist für mich ein Synonym für Macht.»

Ich schäme mich als weisse Frau für das, was wir Schwarzen im Verlaufe der Geschichte angetan haben. Es tut mir unendlich leid, falls ich mich irgendeinmal durch mein Verhalten in diese Reihe der weissen Menschen eingestellt habe. Wahrscheinlich habe auch ich mich schuldig gemacht.

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