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Die StammhalterIN

Bernadette Kurmann

Neulich traf ich beim Einkaufen einen Klassenkameraden. Wir sprachen von alten Zeiten, dann stellte er überrascht fest, dass ich meinen Mädchennamen behalten hatte. "Du bist aber eine taffe Frau", sagte er fasziniert und gleichzeitig vorwurfsvoll. Ich musste lachen. Seit langem hatte mich niemand mehr auf meinen zurückgeholten Mädchennamen angesprochen. Denn das war vor 30 Jahren. Geändert hat sich seither nicht viel.

(Fortsetzung)

Mein Mann und ich waren schon vier Jahre verheiratet. Im Januar 1988 trat das neue Eherecht in Kraft. Am nächsten Tag erschien ich auf der Gemeinde und verkündete strahlend, ich wolle meinen Mädchennamen dem Familiennamen voranstellen. Der Gemeindeschreiber sah mich entgeistert an. Schon im Vorfeld der Abstimmung 1985 war ich mit dieser Idee auf Ablehnung gestossen. "Ja warum willst du deinen Namen zurück, dein Ehemann trägt doch einen wunderschönen Namen." Ich konnte diese Aussage nie verstehen. Mir ging es bei der Namensfrage nie um Schönheit, sondern um Identität. Als Emanze wurde ich beschimpft, als eine, die ihr persönliches Wohlergehen vor dasjenige der Familie stelle. Unser Nachbar, ein Landwirt, wetterte: "Eine Frau wie Sie hätte ich nie geheiratet." Ich war perplex, aber auch schlagfertig: "Keine Angst, ich Sie auch nicht", sagte ich. Die Verletzung blieb. Wie kam dieser Mann dazu, mich derart anzurempeln und zu demütigen.

Warum heiraten?
Am liebsten hätte ich gar nicht geheiratet, dann hätten unsere Kinder nach mir geheissen. Ich überlegte, wägte ab und entschied mich vor allem aus rechtlichen Gründen fürs Heiraten. Und um ganz ehrlich zu sein, habe ich es nicht gewagt, meinem Mann den Familiennamen abspenstig zu machen. Es war ein schwieriger Entscheid. Für mich habe ich so argumentiert, dass Kinder irgendeinmal losgelassen werden müssten. "Ein Stück weit tue ich das halt schon jetzt." Aber ich litt, wenn " Mann und Frau" meine Wahl nicht verstanden und mich deswegen abschätzig behandelten. Ich litt, wenn meine Töchter in ihrem kindlichen Übermut sich voll und ganz mit ihrem Namen identifizierten. Wenn sie ohne bös zu wollen, meinten, Kurmann möchten sie wirklich nie im Leben heissen. Mein Mann hat vier Brüder und zwei Schwestern. Alle elf Nachkommen der Familie sind weiblich. Der Druck war so gross, dass ich vor dem Entscheid eines dritten Kindes meinem Mann abrang: "Das dritte Kind haben wir nicht wegen der Hoffnung auf einen Stammhalter." Mein Mann versprach es hoch und heilig. Der Stammhalter kam dann wirklich nicht. Wir haben drei wundervolle Töchter.

Vorleistung erbracht
Seit 2013 können Paare den Familiennamen frei bestimmen. Ich gebe zu, dass ich es nicht verstehe, dass die allermeisten Frauen weder ihren Namen behalten noch sich dafür einsetzen, dass ihr Name zum Familiennamen wird. Dass sie sich nicht stärker für eine Sache einsetzen, wofür die ältere Generation so sehr gekämpft hat. Ich halte das für rückständig und sogar nachteilig für ein friedvolles Miteinander. Jetzt ist unser erstes Enkelkind geboren. Das Thema Familienname wagte ich nie anzusprechen. Für mich dachte ich: "Du hast mit der Beibehaltung des Namens eine Vorleistung erbracht, jetzt sind deine Töchter an der Reihe."

Wie war ich überrascht, als mein Schwiegersohn bei einem Essen eröffnete, dass das Kindlein - das Geschlecht war vor der Geburt nicht bekannt - wie seine Mama heissen werde. Er erzählte es ganz leise, atmete tief, und es war zu spüren, wie schwer ihm dieser Entscheid gefallen war. Ich war unglaublich überrascht und gerührt. "Das ist sehr grosszügig von dir", sagte ich zu ihm. "Ich weiss, wie du dich fühlst, und wie hart dieser Verzicht ist. Ich habe es auch erfahren." Unsere Tochter fügte bei, dass diesem Entscheid eine lange Auseinandersetzung mit pro und contra vorausgegangen war.

Vision der Gleichwertigkeit
Die Stammhalter-Thematik war für mich nie interessant. Aber auf einen Schlag begriff ich, dass meine Tochter nun zur Stammhalterin der Familie meines Mannes geworden ist. Dieser Gedanke macht mich glücklich. Man stelle sich vor, dass es Normalität wäre, dass Paare sich absprechen: Gründe für diesen und jenen Namen auf den Tisch legen und in aller Offenheit entscheiden, welcher Name gewählt werden soll. Ich möchte diesen Gedanken in die Welt hinaustragen, nach Indien und Pakistan zum Beispiel, wo Mädchen keinen Wert haben. Wo weibliche Föten - weil sie wegen der späteren Heirat - vor allem Last sind und massenweise abgetrieben werden. Inzwischen sind in diesen Ländern Frauen im heiratsfähigen Alter zur Rarität geworden. Ich habe die Vision, dass weltweit Mädchen und Buben zu Stammhalterinnen und Stammhaltern ihrer Familie werden können. Dass die Gleichheit der Geschlechter zur Selbstverständlichkeit wird. Wie viel Leid würde der Welt damit erspart.

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