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«Mein Leben ist eine Kette von Zufällen»

Biobäuerin Wendy Peter-Hodel ist überzeugt: «Wir haben als KonsumentInnen mehr Macht als wir meinen. Entscheidend ist, welche Nahrung, welche Welt wir wollen.»
Biobäuerin Wendy Peter-Hodel ist überzeugt: «Wir haben als KonsumentInnen mehr Macht als wir meinen. Entscheidend ist, welche Nahrung, welche Welt wir wollen.»

Foto und Text: Monika Fischer

Mehr als drei Jahrzehnte betrieb Wendy Peter-Hodel (1949) zusammen mit ihrem Mann einen Biohof. Natürliche Kreisläufe und naturnah produzierte Lebensmittel und deren Vermarktung sind ihre zentralen Anliegen. An Tagungen, Konferenzen und Vorträgen zeigte sie die Zusammenhänge zwischen Lebensmittelproduktion weltweit und unserem Kaufverhalten auf. Dieses Engagement ist alles andere als selbstverständlich. Als Tochter einer Engländerin und eines Schweizers wuchs sie die ersten Jahre in England, dann in der Schweiz, privilegiert mit Haushälterin und Gärtner, auf. Später absolvierte sie die Handelsmittelschule, studierte Sprachen und arbeitete als Sprachlehrerin und Reiseleiterin. Zwischen zwei Gruppenreisen wollte sie mit einer Freundin auf einer Wanderung auf einem abgelegenen Hof im Luzerner Hinterland biologisches Gemüse kaufen. Sie verliebte sich in den Bauern – und blieb hängen.

(Fortsetzung)

Mit 35 Jahren kam Wendy Peter in eine völlig andere Welt: ein Kulturschock. Als Städterin musste sie zudem vieles lernen. Sie hatte zwar in Amerika kurz als Cowgirl gearbeitet. Sonst aber hatte sie weder von den Arbeiten auf dem Bauernhof noch von der Haushaltführung eine Ahnung. Deshalb machte sie bei ihrem künftigen Mann ein landwirtschaftliches Praktikum. Sie lernte Traktor fahren, die Maschinen bedienen, eggen, kreiseln, schwadren. Als «Notfall» wurde sie auf ihr Drängen in den offenen Kurs der Bäuerinnenschule aufgenommen. Sie bewunderte die Frauen für das, was sie an Lebenspraktischem wussten und konnten. «Ich hatte zwar viel im Kopf, hätte damit aber nicht überleben können.» Die Schwiegermutter akzeptierte sie von Anfang an und führte sie mit viel Verständnis für ihre Situation in die Arbeit einer Biobäuerin ein.

Engagement für den biologischen Landbau
Die Schwiegermutter hatte Mühe loszulassen. Dies ermöglichte es Wendy Peter auch nach der Geburt der fünf Kinder ausserhause tätig zu sein. Mit einigen Stunden Englischunterricht konnte sie einen Fuss im Beruf behalten. Sie war eine begeisterte Bäuerin und half auf dem Betrieb überall mit, wo sie gebraucht wurde. Sie fuhr mit dem Traktor, besorgte den Garten, baute Lagergemüse (anfänglich auch für den Direktverkauf) an, konservierte Gemüse und Früchte, stellte Yoghurt und Quark her, buk Brot, wusch, putzte. Überzeugt von der Bedeutung des biologischen Landbaus, engagierte sie sich bald im Vorstand der Luzerner Biobauern. Sie erkannte die Bedeutung von Marketing, Rhetorik und Kenntnissen in Finanzfragen für die Verbandsarbeit. Deshalb absolvierte sie eine zweijährige Ausbildung als Betriebsökonomin. Wissen und Erfahrungen kamen ihr später unter anderem bei der Vorstandsarbeit von BIO SUISSE und dem Bioforum Schweiz (acht Jahre zusätzlich in der Funktion als Geschäftsführerin) zugute. 2001–2014 konnte sie diese ebenfalls als Mitglied des Schweizerischen CNS/FAO Komitees, einem beratenden Organ des Bundesrates in Sachen Ernährung und Landwirtschaft, einbringen.

Selbstbewusstsein als Bäuerin
Wendy Peter schildert, wie sie über zufällige Begegnungen massgebende Einblicke in die Landwirtschaft und Ernährung und damit verbunden in die Bedeutung der Bäuerinnen gewinnen konnte. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Ethnologin Corinne Wacker. Diese porträtierte sie für die Ausstellung an der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. Es war der Beginn einer jahrlangen Zusammenarbeit. Die beiden Frauen untersuchten unter anderem in einem Nationalforschungsprojekt, wie die Bäuerinnen in Ghana, Pakistan und der Schweiz zu ihrem Wissen kommen, wie sie dieses weitergeben, wie sie zusammenarbeiten und eingebunden sind. In einem ebenfalls vom Nationalfonds finanzierten Fotoprojekt liessen sie Bäuerinnen in der Schweiz und in Indien ein Jahr lang die eigene Arbeit dokumentieren, Damit wollten sie die Bedeutung der Frauen in der Landwirtschaft bewusst machen und diese stärken. Das geringe Ansehen der Bäuerinnen und Bauern hatte Wendy Peter am eigenen Leib erfahren. «Du musst schauen, dass du auch deinen Kopf noch brauchst», hatte ihr der Vater bei der Hochzeit mit auf den Weg gegeben. Er änderte seine Meinung gründlich. Später besuchte er sie sogar mit seinen Geschäftsfreunden und stellte diesen stolz den Betrieb vor.

Weltweites Netz zur Stärkung der Bäuerinnen
Ein weiteres prägendes Ereignis war für Wendy Peter die Teilnahme am alternativen Welternährungsgipfel 1996 in Rom. Dort kam sie in Kontakt mit den führenden Frauen der weltweiten Ökobewegung. Wieder erfuhr sie bei der Begegnung mit Bäuerinnen aus Indien, Afrika, Südamerika von gemeinsamen Anliegen: eine gerechte Verteilung der Lebensmittel, der Erhalt vielfältigen Saatguts, die Sensibilisierung der Bevölkerung für eine kritische Sicht der Gentechnologie, das Überleben von kleinen und mittleren Betrieben. Wie sie suchten ihre Kolleginnen nach Vermarktungsstrukturen, in denen Frauen als Produzentinnen und Konsumentinnen mehr Gewicht erhalten. Nach der Tagung fühlte sie zum einen Ohnmacht angesichts der im Gange befindlichen Prozesse, zum andern auch Hoffnung. «Es war eindrücklich, die Kraft vieler Frauen zu spüren, die sich fürs Gleiche einsetzen.» Sie entschloss sich: «In dieses Netzwerk möchte ich mich einklinken, um gemeinsam mit anderen gegen den Strom zu kämpfen.» Mit dem Ziel, weltweit Frauen zu vernetzen, zu fördern und zu stärken, gründete Wendy Peter zusammen mit Corinne Wacker den Verein «Farm women’s network». Als dessen Präsidentin stand sie über Briefe und das Internet im Kontakt mit Bäuerinnen aus der ganzen Welt. Sie organisierte Vorträge und wirkte bei weiteren Forschungsprojekten mit.

Aufklärungsarbeit aus innerer Verpflichtung
Auch andere Einblicke haben sie für ihr Engagement motiviert. Auf der Reise mit einer Delegation des Europäischen BürgerInnenforums nach Almeria im Osten Andalusiens war sie schockiert von der menschenunwürdigen Produktion von Erdbeeren und Gemüse in Südspanien. «Wir sahen eine Landschaft von 35'000 Hektaren unter Plastik. Die Sanddünen waren mit dem Bagger abgetragen, der Sand mit chemischem Dünger zu einem Kunstsubstrat gemischt worden. Das Grundwasser muss aus einer Tiefe von 1000 bis 1500 Metern heraufgepumpt werden und wird in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Und in dieser kargen Region werden Erdbeeren, Tomaten, Auberginen usw. für die Länder des Nordens angepflanzt. Es ist eine ökologische Todsünde.» Zutiefst berührt war sie auch von der Situation der dort beschäftigten Fremdarbeiter. «Wenn wir die Schweine in der Schweiz so halten würden, hätten wir den Tierschutz auf dem Hals.» Die Aufklärungsarbeit, verbunden mit der Forderung nach einem Mindest-Sozialstandard für solche Produktionen, wurde für Wendy Peter zur inneren Verpflichtung. Ihre Erfahrungen schilderte sie an Podiumsgesprächen und Vorträgen in der ganzen Schweiz sowie im Radio und im Fernsehen. Immer wieder betonte sie dabei die Bedeutung von saisonalen und regionalen Produkten.

Eindrückliche Erlebnisse
Wie nur hat Wendy Peter die Arbeit für Familie und Betrieb mit dem öffentlichen Engagement und den damit verbundenen Reisen unter einen Hut gebracht? Sie erinnert sich gerne an das Zusammenleben der drei Generationen auf dem Hof. «Es war eine wunderbare Zeit, auch wenn nicht alles einfach war. Die Kinder wurden von den Grosseltern selbstverständlich in kleine Ämtli eingeführt. Zudem wurden sie - auch bedingt durch den langen Schulweg - früh selbstständig.» Ihr Mann unterstützte sie bei ihren Engagements, war jedoch am liebsten Zuhause. Deshalb fuhr sie jeweils allein mit den Kindern in die Ferien, oft nach England. Die praktische Arbeit auf dem Hof war für sie sowohl Boden als auch Ausgleich zum öffentlichen Engagement. Dieses verschaffte ihr bei Reisen und Begegnungen eindrückliche Erlebnisse. Ihre praktischen Erfahrungen als Bäuerin, verbunden mit den perfekten Englischkenntnissen, kamen ihr nicht nur bei Konferenzen zugute. Im November 2000 durfte sie Prinz Charles als Vizepräsidentin von Bio-Suisse auf dem Gang durch einen Bio-Hof im Kandertal begleiten und war gleichzeitig seine persönliche Dolmetscherin.

Zurück zu den Wurzeln
Je näher das AHV-Alter rückte, umso grösser wurde die Sorge um die Zukunft des Hofes. Die Kinder hatten gute Berufe und wohnten auswärts. Diskussionen am Familientisch führten schliesslich zum Entschluss der beiden Söhne, den Betrieb zu übernehmen. Seither ist es im Leben von Wendy Peter ruhiger geworden. Sie besorgt nach wie vor den Hausgarten und setzt sich in der Öffentlichkeit für ihre Anliegen ein. «Doch bin ich radikaler geworden. Wir dürfen nicht weiter von Wirtschaftswachstum reden. Die weltweite Wirtschaft mit dem Welthandel muss sich ändern.» Während ihr Mann nach wie vor auf dem Hof mithilft, fährt sie alle sechs bis acht Wochen in ihre alte Heimat. «Je älter ich werde, umso mehr zieht es mich nach England, wo ich eine Wohnung habe. Ich geniesse es, zu lesen, Musik zu hören, zu wandern.» Ebenso gerne kehrt sie auf den Hof zurück, pflegt die Kontakte mit der Familie und freut sich über ihr erstes Enkelkind.

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