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​Altersmüde oder weise?

Bernadette Kurmann

Wir sitzen an einem Tisch, mit einer befreundeten Familie. Wir reden über Gott und die Welt – unter anderem auch über Frauen und deren Namen nach der Heirat. Dann flüstert meine Freundin mir zu: „Weisst du was: Heute würde ich meinen Namen auch behalten.“ Ich bin perplex. Vor einem Jahr hat ihre Tochter geheiratet und den Namen ihres Mannes angenommen. So wie meine Freundin das vor vierzig Jahren getan hatte. Ich freute mich ungemein über ihre Aussage. Am liebsten hätte ich sie auf der Stelle umarmt. Es ist so schwer, die eigene Überzeugung zu ändern. Fast undenkbar ist es, dass wir Meinungsänderungen nach aussen mitteilen. Jemandem etwas einzugestehen, der oder die stets auf der anderen Seite dieser Überzeugung gestanden hat, ist enorm stark. Und doch stellt sich mir die Frage: Haben Einsicht und Nachsicht mit Reife zu tun, oder ist es Altersmüdigkeit?

(Fortsetzung)

Kürzlich musste ich über mich staunen. Wir waren an einer Taufe. Verschiedenste Familienmitglieder kamen zusammen. Ein junges Ehepaar hatte auch ein Baby bei sich. Wir sprachen über das Familienleben zu dritt. Sie erzählten, wie sie sich die Kinderbetreuung aufteilen. Er arbeitet hundert Prozent, sie 60. Der Vater übernimmt an den Abenden und an Wochenenden. Aus der Schilderung wurde klar, dass sie das Geld beider brauchen. Dann sagte der junge Vater entschuldigend: „Ja, ich weiss, es ist nicht so ideal, dass ich 100 Prozent arbeite.“ Ich antwortete spontan: „Ich glaube, das Modell der Kinderbetreuung, das auf alle Situationen passt, ist noch nicht erfunden.“ Er war glücklich über meine Aussage.

Es war ein Kampf
Vor wenigen Jahren hätte ich diese Äusserung nicht gemacht. Mein Mann und ich hatten vor 40 Jahren in einem schwierigen Umfeld dafür gekämpft, dass wir beide berufstätig bleiben konnten. Betreuungseinrichtungen gab es damals fast keine. Mit drei Kindern war das viel Arbeit. Mir aber war das enorm wichtig, denn den Lebensentwurf meiner Mutter – KKK Kirche-Kinder-Küche – wollte ich um alles in der Welt umgehen. Und so kämpfte ich – nicht nur für mich - vor allem gegen eine Umwelt, die dafür kein Verständnis aufbrachte. Ich kämpfte so stark, dass ich vielen auf die Nerven ging. Aber das nahm ich in Kauf.

Von Sein und Schein
Neulich sprach ich mit einer nahen Bekannten über deren Lebensweg. Sie, gut ausgebildet, hatte sich für die Rolle als Mutter und Hausfrau entschieden. Sie hatte einen Politiker geheiratet und ihm Jahrzehnte lang den Rücken gestärkt. Ich konnte diese Frau damals nicht verstehen, und habe ihren Entscheid nicht akzeptiert. Für mich war klar: Frauen sollten berufstätig bleiben und sich nicht in die Abhängigkeit begeben. Manchmal aber beneidete ich sie im Geheimen. In meiner Vorstellung hatte sie ein gemütlicheres Leben als ich. Sie tat vieles, das ich auch gerne gemacht hätte.

Kürzlich erzählt sie mir, dass ihr die Rolle als „Nur-Hausfrau und Mutter“ nicht leicht gefallen sei. Aber sie habe es geschafft, die positiven Seiten dieses Lebens zu sehen, und die habe sie entsprechend ausgeschöpft und irgendwie genossen. Zudem liess sie durchblicken, dass ihr Eheleben ohne diese klare Aufteilung der Rollen bis an die Grenzen strapaziert worden wäre. „Du hast das gut gemacht“, höre ich mich sagen - und staunte schon wieder über mich.

Altersmüde?
Bin ich altersmüde, frage ich mich. Denn meine Grosszügigkeit befremdet mich alte Kämpferin. Doch es scheint, dass ich mir diese Haltung heute leisten kann. Ich habe meine Lebensziele erreicht und stehe nicht mehr in unmittelbarer Konkurrenz oder unter Druck. Nach wie vor kämpfe ich für meine Überzeugungen. Bei den kantonalen Abstimmungen dieses Jahr habe ich konsequent Frauen gewählt und sie tatkräftig unterstützt. Die Frage der Gleichberechtigung bleibt ein Anliegen, und die Fortschritte sind für mich bescheiden.

Aber heute leiste ich mir den Luxus, etwas milder zu sein, und ich spüre, dass mir das gut tut. Ich habe ein Leben lang für meine Überzeugungen gekämpft, zum Teil mit harten Bandagen. Das war für mich damals überlebenswichtig. Jetzt überlasse ich das Feld anderen, zum Beispiel meinen Töchtern. Diese sollen jetzt für ihre Überzeugungen einstehen. Und ich sehe, es geht weiter ohne mich. Vielleicht nicht in dem Tempo, wie ich mir das wünsche. Aber ich vertraue, dass die jungen Frauen – wie ich damals - das für sie Richtige tun.

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