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​Noch bleibe ich

Monika Fischer

Im letzten November hat mich der Austritt von sechs prominenten Frauen aus der römisch-katholischen Kirche aufgerüttelt. Jetzt gehe ich auch! So mein spontaner Gedanke. Die älteste Schwiegertochter und mein Sohn hatten diesen Schritt schon vor Jahren gemacht. Angesichts der unnachgiebigen Haltung des damaligen Papstes in der Aids-Thematik konnten sie die Verantwortung gegenüber den betroffenen Menschen nicht mehr mittragen. Um den Kindern eine christliche Grundlage zu ermöglichen, sind sie später in die reformierte Kirche eingetreten. Ich dachte auch an meine durch die Kirche zugefügten Verletzungen. Ein Verwandter war als Jugendlicher vom Vikar sexuell missbraucht worden. Noch heute fühlt er sich als alter Mann schuldig, weil er sich nicht gewehrt hatte. Mich hatte der Dorfpfarrer kurz nach der Scheidung in seiner Predigt öffentlich an den Pranger gestellt. Seine Begründung: Er habe den Leuten wieder einmal sagen müssen, dass vorehelicher Sex der Grund sei für die zunehmenden Scheidungen. Als geschiedene und wieder verheiratete Frau bin ich in dieser Institution ohnehin kein vollwertiges Mitglied mehr.

(Fortsetzung)

Und doch setzte ich damals meinen Entschluss zum Austritt nicht um. Zu sehr war ich in jenen Wochen mit dem Sterben der Schwiegermutter beschäftigt. Jahrelang hatte diese mit der Kirche gehadert und am Glauben gezweifelt. Kurz vor ihrem Tod fragte ich sie, ob sie diese Sorgen immer noch plagen. Sie lachte befreit: Die Kirche kümmert mich nicht mehr, es geht doch um das Wesentliche. Nach ihrem Tod fanden wir auf ihrem Nachttisch eine handgeschriebene Notiz. In wenigen Worten hatte sie ihr Vertrauen in etwas, das über den Menschen steht, festgehalten.

«Und jetzt?» fragte ich mich nach einiger Zeit? Soll ich mein Vorhaben wirklich umsetzen? Ich dachte an das Gespräch mit einer Ordensfrau. Aus christlicher Überzeugung setzt sie sich für notleidende Menschen ein, um die sich sonst niemand kümmert. Längst hat sie es aufgegeben, ihre Energie an die männlichen Machtstrukturen der Kirchenleitung zu verschwenden. «Diese kommt mir vor wie ein Marmorklotz. Alle Bemühungen, dort nur etwas anzuritzen, bringen nichts», meinte sie. Ich dachte auch an eine andere betagte Ordensfrau in Indien. Viele Jahre setzte sie sich für aidskranke Menschen in den Dörfern ein. Auf deren Bitten, ihnen doch die einzige mögliche Freude zu gönnen, verteilte sie Kondome und demonstrierte deren Anwendung. «Rom ist weit weg», erklärte sie verschmitzt, der liebe Gott werde ihr bestimmt verzeihen.

Nachhaltig geprägt haben mich auch andere Erfahrungen: Die Einladung von Seelsorgern, in Gottesdiensten zu predigen. Die bewegenden Tauffeiern der Enkelkinder, wo zum Beispiel die Gemeindeleiterin im Garten die Taufkerze als Zeichen für die Gemeinschaft am Grillfeuer entzündet hat. An die Adventsfeiern und die Kleinkindergottesdienste, bei denen die Kinder Geschichten über ein gutes Leben hören, gemeinsam singen, spielen und beten. An die Begegnungen mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die die Bedürfnisse der Menschen ernstnehmen und vor die Gesetze stellen. An die verschiedenen Vereine und Gruppierungen im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Sie alle brauchen Menschen, die dabei bleiben und sie moralisch und finanziell unterstützen.

Es freute mich, zu hören, dass der Austritt der sechs prominenten Frauen einiges ausgelöst hat: Die Theologinnen Jacqueline Keune, Luzern und Monika Hungerbühler, Basel, reagierten sofort mit einer Pressemitteilung, in der sie eine Kirche umfassender Gleichwertigkeit forderten. Zudem verlangten sie ein Gespräch mit dem Basler Bischof Felix Gmür und Generalvikar Martin Thürig. Dieses soll Mitte Juni in einem Kapuzinerinnenkloster, einem Frauenort der Offenheit und Weite, stattfinden. Gemeinsam mit andern TheologInnen haben sie einen Katalog mit Anliegen aufgestellt, die seit Jahrzehnten auf der kirchlichen Traktandenliste stehen. Unter dem Titel «Wir haben es satt» fordern sie eine nicht klerikale Kirche umfassender Gleichwertigkeit und neuer Glaubwürdigkeit mit der folgenden Begründung: «Wir haben das Papier verfasst, weil uns unsere Kirche wichtig ist, weil wir in der Gemeinschaft der Kirche bleiben wollen, aber weil wir nicht länger Kirche sein wollen, die Menschen missbraucht, die Unbescholtene ausgrenzt, die Menschen allein deshalb herabsetzt, weil sie als Frauen geboren wurden.»

Auch kirchliche Organisationen wollen weiterhin dranbleiben, obwohl ihre seit Jahrzehnten geforderten Anliegen bei der Amtskirche wenig Beachtung finden. Dazu gehört der Schweizerische Katholische Frauenbund SKF. Gemeinsam mit dem Evangelischen Frauenbund Schweiz hat er im Anschluss an den nationalen Frauenstreiktag vom 14. Juni, an dem sich die konfessionellen Frauenverbände ebenfalls beteiligen, das Wochenende vom 15./16. Juni zum Frauenkirchenstreik aufgerufen. Ihre Forderung: «Gleichberechtigung. Punkt. Amen.» Erkennungszeichen ist der pinke Punkt. Ein mutiges Zeichen in unserer säkularen Gesellschaft, das zeigt: Viele engagieren sich für Aufbrüche und Veränderungen, für eine Kirche in der Nachfolge von Jesu, für eine Kirche, in der die Liebe nicht nur gepredigt, sondern gelebt wird. Diese Bewegung möchte ich unterstützen und habe mich entschieden:

Ich bleibe weiterhin dabei.

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