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Von Müttern und Töchtern

Bernadette Kurmann

Martha, 70, dreifache Mutter, Grossmutter, früher berufstätig und Elisabeth, 68, dreifache Mutter, Grossmutter, ehemalige Politikerin, sind Freundinnen. Sie treffen sich regelmässig und führen Gespräche über das, was sie gerade beschäftigt.
Elisabeth: Schön dich zu sehen. Geht es dir gut?
Martha: Körperlich bin ich fit. Aber…
Elisabeth: Aber was?

(Fortsetzung)

Martha: Ich erzähle dir jetzt etwas, das mich sehr beschäftigt. Vielleicht habe ich Fehler gemacht, und irgendwie schäme ich mich dafür.

Elisabeth: Du darfst alles, aber nicht dich schämen.
Martha: Ich hatte über die Festtage einen heftigen Zusammenstoss mit meinen Töchtern. Wegen einer Bagatelle. Es traf mich so hart, ich musste ständig weinen. Ich verstand mich selber nicht mehr.

Elisabeth: Das passt nicht zu dir. Was ist geschehen?

Martha: Du weisst, Sandra wird demnächst Mutter. Stell dir vor, ich erfuhr von Dritten, wer Patin wird: die Tochter meiner Schwester. Ich mag diese junge Frau, aber ich hatte gehofft, eine der Schwestern würde gewählt.

Elisabeth: Meine Tochter machte das sehr pragmatisch. Sie sagte uns, dass kein Geschwister Gotte werden wird. Die Rolle eines Onkels oder einer Tante sei wichtig und gross genug.

Martha: Das finde ich eine kluge Entscheidung. Doch eine der Töchter ist bereits Gotte unserer ersten Enkelin. Ich hoffte irgendwie, dass nun unsere Kleinste an der Reihe wäre. Aber schlimmer war die Nachricht von aussen. Ich war immer der Meinung, wir hätten ein offenes Verhältnis… Offensichtlich wagte es Sandra nicht, mir diese Nachricht mitzuteilen. Das hat mich verletzt. Zudem hätte ich es unserer Jüngsten so sehr gegönnt, man hätte ihr diese Rolle zugetraut.

Elisabeth: Ja, ja, unsere Kleinsten. Wir haben und hatten immer das Gefühl, wir müssten sie schützen. Die Reaktionen von uns Müttern – und auf der anderen Seite diejenigen der Kinder - sind immer gleich.

Martha: Genau, die beiden Älteren verbündeten sich wie früher und stellen sich gegen mich. Das geht tatsächlich reflexartig. Ich hätte bei der Wahl der Paten nichts zu wünschen, warf mir die Älteste an den Kopf. Als ob ich das nicht wüsste!

Elisabeth: Wie ich das kenne. Kürzlich sah ich in der Wohnung meiner Tochter Kindersachen und fragte überrascht, ob die Familienplanung noch nicht abgeschlossen sei. Nein, antwortete Lina, und dann machte ich einen grossen Fehler. Ich hielt ihr vor Augen, wie streng doch ihre berufliche Aufgabe im Zusammenhang mit der Erziehung der zwei kleinen Kinder sei. Da habe ein Drittes nun wirklich keinen Platz mehr.

Martha: Ui, das kam nicht gut an.

Elisabeth: Die Retourkutsche kam postwendend. Bald danach stand die junge Familie vor unserer Tür mit einem Foto von Eltern und Kindern, in der Hand ein Ultraschallbild. „Papa wird sich freuen und Mama ärgern“, sagte Lina. Ich fühlte mich wie geohrfeigt.

Martha. Das tut weh. Wie ging die Sache aus?

Elisabeth: Wir hatten ein Gespräch. Ich sagte, wie sehr mich ihre Einteilung zwischen Vater und Mutter getroffen habe. Sie meinte, wie sehr verletzt sie war als sie spürte: Meine Mutter traut mir nicht zu, eine so intime Sache wie die Familienplanung eigenständig zu entscheiden. Ich sagte ihr, dass ich mir Sorge um sie gemacht hätte und ich mich natürlich auf das kleine Wesen – genauso wie Papa - freuen würde.

Martha: Und die Lehre der Geschichten? Wir schweigen und halten uns stets zurück? Das liegt nicht in meinem Naturell.

Elisabeth: Das schaffen wir beide nicht.

Martha: Dann bleibt uns abwarten und resignieren?

Elisabeth: Nein, das sehe ich nicht so. Wir wollten doch stets eigenständige Kinder, die für sich selber entscheiden können. Wir haben unser Ziel erreicht und sollten uns darüber freuen.

Martha: Du hast recht. Und etwas mehr Zurückhaltung stünde uns auch gut an.

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