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Die Revolution nach innen oder Entdeckungen hinter der Müdigkeit

Wer sich nichts schenken lässt hat nichts zu lachen.

Sylvia Frey Werlen

Eine Nachbarin hat mir erzählt, dass Marco, ihr Mann, und sie sich so gefreut hätten, als sie endlich wieder einmal zusammen an ein Jazzkonzert gehen konnten. Mama wollte an dem Abend kommen und die Kinder hüten. Die beiden freuten sich auch darauf, nach dem Konzert noch einen Moment zusammen zu sitzen und einen Martini zu trinken. Ein Martini hatte sie doch vor so vielen Jahren in einer Jazzbar zusammengeführt. Marco würde dann Mama mit dem Auto nach Hause bringen.

Kaum war nach dem wunderbaren Konzert der Applaus verklungen und kaum waren sie aufgestanden, da klingelte das Handy. Es war Mama. Wann sie endlich kommen würden. Sie gehe jetzt aufs Tram.

Aber.., sie hatten doch...Mama hatte schon aufgehängt.

Als sie den Martini Martini sein liessen und nach Hause kamen, stand Mama schon im Mantel da.»lch bring dich jetzt mit dem Auto nach Hause», sagte Marco. »Nein, nein, nicht nötig,» sagte sie mit schmalen Lippen. Und schon war sie verschwunden.

Er hatte keine Chance, ihr etwas auf seine Art zu schenken, das Heimbringen mit dem Auto.

Dazu hat mir auch mein Sohn etwas bei-gebracht:

(Fortsetzung)

Mein Sohn und ich machen zweidreimal pro Jahr ein Sofaessen. lch habe dann einige feine Sachen gekocht, die auf dem Stubentisch stehen. Wir zwei liegen wie die alten Römer je auf einem Sofa und haben endlich Zeit uns zu erzählen, wo wir gerade stehen, was uns beschäftigt. Das sind für mich kostbare Abende.

«Weisst du», sagt Andri, «manchmal ist es in der letzten Zeit mit dir so entspannt und herzlich. Aber manchmal kommst du so in etwas Angestrengtes hinein. Du bisch denn so am umefuerwärke. Du gibst dann so durch, was ich und auch meine Schwester jetzt alles machen müssen und auch noch wie. Das stellt mir dann ab. Ich schaue ja gerne zu dir, aber ich will es auf meine Art machen können. Sag doch einfach, was Sache ist, dann suchen wir zusammen eine Lösung. So wie letzten Donnerstag, als du wegen den Hustenanfällen nicht schlafen konntest. Da hast du unsere Kleine nicht geholt mit dem Tram, weil du jeweils zweimal umsteigen musst. Yasmine (meine Schwiegertochter) hat sie dir gebracht.»

Sag doch einfach was ist. Wie wenn das einfach wäre! Dazu stehen, dass meine Kräfte langsam abnehmen, dass ich fragiler werde, eine gwagglige alte Frau?
Da kommt bei mir rasch die Angst: Dann organisieren sich die Jungen anders, mit mehr Krippentagen. Und ich verliere etwas vom Kostbarsten, die Stunden mit den Kleinen, die Entdeckungen mit meinen Enkelkindern. «Tu nicht so», sag ich dann zu mir, «du musst es eben bringen. Beiss die Lippen zusammen. Und los!»
Werden wir kämpferischen Grossmütter zu einer Generation von alten Frauen mit schmalen Lippen? Frauen, denen nicht zu helfen ist? Wie schaffen wir mit Würde den Schritt ins letzte fragile Lebensalter?

lm Wort Würde steckt lat. vertere= umdrehen. Und im Wort Revolution steckt etwas Ähnliches lat volvere=drehen. Wenn es uns gelingt, zu unserer Fragilität ja zu sagen, dann kann sich in uns etwas umdrehen. Dann kann daraus etwas Neues wachsen. Etwas, was uns eine stille Kraft gibt auf unserem letzten Wegstück nach Hause.

Würde kommt von umdrehen, aus Schwierigem wird Würde. Es gibt neben der Revolution nach aussen, auch eine (R)evolution nach innen...

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