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​Das Leben im Alter geniessen

Monika Fischer

«Warum geniesst du nicht einfach dein Leben?» Oder: «Warum arbeitest du noch so viel? Du könntest es doch so schön haben!» Wie oft höre ich solche Sätze. Die Rezepte für ein genussvolles und schönes Leben im Alter werden gleich mitgeliefert: Ich sollte spazieren, reisen, Kaffee trinken, jassen, Leute treffen. «Ich geniesse doch mein Leben in vollen Zügen. Es gibt für mich nichts Schöneres, als ein aktiver Teil der Gesellschaft zu sein», antworte ich jeweils. Gleichzeitig frage ich mich, warum andere Menschen zu wissen meinen, was für mich gut ist und welche Vorstellungen sie von einem guten Leben im Alter haben.

(Fortsetzung)

Als freischaffende Journalistin bin ich gar nie pensioniert worden. Während der Familienzeit konnte ich meinen Beruf nur beschränkt ausüben und hatte einen gewissen Nachholbedarf. Zudem war mein um acht Jahre jüngerer Partner bis vor kurzem voll berufstätig. So konnte ich mich im AHV-Alter neben meinem Grossmutter-Hütetag voll dem Schreiben und meinen Projekten widmen.

Und doch gab es eine Zeit, in der ich mir die gutgemeinten Ratschläge zu Herzen nahm. Ich versuchte, mehr Tage freizuhalten und unternahm längere Spaziergänge. Regelmässig kehrte ich in ein Café ein, las verschiedene Zeitungen – und ass dazu meistens eine Crèmeschnitte. Die Folgen zeigten sich nicht nur auf der Waage. Mehr und mehr fühlte ich mich unausgefüllt, leer – und kehrte rasch zu meinem gewohnten Lebensrhythmus zurück.

Auch ich liebe es, zu wandern, zu reisen, zu jassen, gemütlich einen Kaffee zu trinken. Ich schätze es umso mehr, wenn es nicht allzu häufig vorkommt. Ebenso liebe ich es, aktiv zu sein, mich einzubringen, in Projekten zu engagieren und mit Lust und ungebrochener Schaffenskraft Artikel über Themen zu schreiben, die mich interessieren. Natürlich gibt es den Moment vor dem leeren Blatt, wo ich mich frage: Warum hast du dich auf diese Arbeit eingelassen? Umso grösser ist die Genugtuung, wenn der Text fertig ist. Ähnlich geht es mir manchmal vor freiwilligen Einsätzen. Es kann bei schönem Wetter eine Überwindung brauchen, an den Treff mit Asylsuchenden zu gehen, anstatt eine Wanderung zu machen. Und doch kehre ich bereichert nach Hause zurück. Dasselbe gilt für die strengen Projektreisen ins Ausland, bei denen ich erfahre: Ich bekomme viel mehr zurück, als ich geben kann. Gerade diese Reisen zeigen mir, wie privilegiert ich bin. Ich kann auch im Alter tun, was mich interessiert und für mich stimmig ist.

Andere Menschen setzen andere Schwerpunkte. In keiner Lebensphase ist die Vielfalt und Bandbreite an Interessen und Möglichkeiten grösser als im Alter. Entsprechend breit sind die Vorstellungen über ein schönes und genussvolles Leben im Alter. Die 90-jährige Künstlerin freut sich an der Vernissage ihrer Ausstellung aufs Weitermalen am nächsten Tag. Die 82-Jährige erzählt begeistert von ihren vielen Reisen und den Tennisferien. Die 66-Jährige geniesst nach einem arbeitsintensiven Berufsleben das Zusammensein mit den Enkelkindern. Die 70-Jährige freut sich nach einem Schlaganfall im Pflegeheim auf jeden Besuch. Die Beispiele könnten endlos weitergeführt werden.

Das Leben im Alter hat sich in der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Wir sind die erste Generation, die ein aktives drittes, manchmal sogar viertes Lebensalter, oft bei guter Gesundheit, erleben darf. Denn auch die Aufteilung in ein aktives drittes und abhängiges viertes Lebensalter stimmt nur noch teilweise. Während sich das Alter äusserst vielgestaltig entwickelt, haben sich die traditionellen Vorstellungen und Bilder über alte Menschen hartnäckig gehalten. Noch immer spuken das Grosi mit dem Hupi und einer Strickarbeit und der Grossvater mit Hut und Spazierstock in den Köpfen herum.

Deshalb ist es an uns, die traditionellen Altersbilder mit unserem Leben aufzubrechen und neu zu füllen.

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