Schliessen

Mut, immer wieder aufzubrechen

Frauentalk zum Auftakt der Jubiläumsfeiern «50 Jahren Frauenstimmrecht» im Kantonsratssaal Luzern: v.l.: Ylfete Fanaj, Cécile Bühlmann, Eva Granwehr und Moderatorin Zita Küng.
Frauentalk zum Auftakt der Jubiläumsfeiern «50 Jahren Frauenstimmrecht» im Kantonsratssaal Luzern: v.l.: Ylfete Fanaj, Cécile Bühlmann, Eva Granwehr und Moderatorin Zita Küng.

Monika Fischer

Nächstes Jahr feiern wir «50 Jahre Frauenstimmrecht». Anfangs September fand im Kantonsratssaal in Luzern der Countdown zu zahlreichen Jubiläumsanlässen in der ganzen Schweiz statt (siehe Website www.ch2021.ch). Der Frauentalk zum Thema Ausgrenzung weckte in mir Erinnerungen an die Zeit vor 50 Jahren und an die damals erfahrene Ausgrenzung. Ich sehe mich wieder als junge Lehrerin vor einer Schulklasse stehen. Bisher war ich meinen Weg eigenständig gegangen und hatte mich gegenüber den Männern nicht benachteiligt gefühlt. Erst im Zusammenhang mit den Diskussionen rund ums Frauenstimmrecht wurde mir die fehlende Gleichberechtigung bewusst.

(Fortsetzung)

Noch immer spüre ich die Gefühle von Ohnmacht, ja Wut im Gedanken daran, dass nach geltendem Gesetz alle die mehr oder weniger gescheiten Buben später als Männer über uns Frauen bestimmen und die vielen klugen Mädchen nichts zu sagen hätten. Wie demütigend empfand ich es als jung verheiratete Frau, auf die Unterschrift des Ehemannes angewiesen zu sein. Zudem wurde mir als Doppelverdienerin bei Lehrerüberfluss die Ausübung meines geliebten Berufs verboten. Diese und viele weitere Erfahrungen der Benachteiligung sensibilisierten mich für die Ungerechtigkeiten. Sie motivierten mich wie viele andere Frauen zum Einsatz für Gleichberechtigung und die Würde aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Kultur, Religion und Alter.

Eine Chance zum Nachdenken
Im Zusammenhang mit dem Jubiläum «50 Jahre Frauenstimmrecht» geben uns zahlreiche Anlässe die Möglichkeit, nicht nur zurückzublicken. Denn der lange Kampf ums Frauenstimmrecht zeigt uns auch, was es braucht, um einem Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen. Das Jubiläum ist deshalb neben einem Anlass zum Feiern auch eine Chance zum Nachdenken, wo wir heute stehen und was noch zu tun ist. Dies wurde mir beim Countdown zu den Jubiläumsanlässen bewusst. Gemäss Zita Küng, Präsidentin des Vereins CH2021, soll in der Zeit bis zum historischen Ereignis mit vielen Initiativen und Anlässen die demokratische Kultur weiterentwickelt werden, was mit Auseinandersetzung verbunden sei. Den Talk zum Thema «Demokratie und die Frauen» stellte sie unter das Stichwort Ausgrenzung, habe doch die Ausgrenzung der Hälfte der Bevölkerung von der Mitbestimmung vor 1971 die Gesellschaft wesentlich beeinflusst.

Ausgrenzung heute
Als junge Migrantin hat die Luzerner Kantonsratspräsidentin Ylfete Fanaj persönlich erlebt, was Ausgrenzung bedeutet. 1982 im heutigen Kosovo geboren, kam sie 1991 im Familiennachzug in die Schweiz. Da sie nach der obligatorischen Schulzeit keine Lehrstelle fand, absolvierte sie als Zwischenlösung das 10. Schuljahr. Später bildete sie sich zur Kauffrau aus, machte berufsbegleitend die Berufsmatura und absolvierte das Studium in Sozialer Arbeit. Die Politikerin zeigte auf, was es für sie bedeutete, bei der Ausbildung zwar nicht als Frau, wohl aber als Migrantin benachteiligt zu sein. Sie konnte sich bei Abstimmungen nicht aktiv einbringen und war in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Die ehemalige Nationalrätin Cécile Bühlmann berichtete von ihrem Schock anlässlich der Schwarzenbach-Abstimmung 1970. Grund dafür war neben den heftigen Debatten im Entlebuch die Aufforderung durch die Schulbehörde, sie müsse sich als Lehrerin draushalten, da die Frauen politisch nichts zu sagen hätten. Heute noch würden 25% der Schweizer Bevölkerung von der Mitbestimmung ausgeschlossen, das sei eine unvollständige Demokratie.

Für die junge Politikwissenschaftlerin Eva Granwehr, Projektleiterin des Vereins 50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern, ist es eine flagrante Menschenrechtsverletzung, dass den Frauen die Rechte so lange vorenthalten wurden. Frauenrechte seien auch Menschenrechte. Manches habe sich verändert, seitdem Männer und Frauen gemeinsam die Norm definieren. So wäre zum Beispiel das neue Eherecht ohne die Frauen nicht zustande gekommen, hätten doch die Männer dagegen gestimmt. Die Schweiz wäre eine andere ohne die Frauen. Mit ihnen haben neuen Ideen und eine neue Qualität in die Politik Einzug gehalten.

Weitere Aktionen erwünscht
Die am Talk beteiligten Frauen zeigten sich beeindruckt von den Pionierinnen, die alles versucht, nicht aufgegeben, Verbündete gesucht und zur Durchsetzung ihres Anliegens Betroffene zu Beteiligten gemacht hatten. Dieses Engagement lasse sich auf andere Themen und Gruppen übertragen, die heute noch von der Mitbestimmung ausgegrenzt sind. Es sei wichtig, die Augen der jungen Generationen zu öffnen für das, was noch nicht erreicht ist, andere zu motivieren und ins Boot zu holen. Der Frauenstreik sei ein Paradebeispiel für einen Austausch, bei dem das Fehlende benannt und breit über Themen diskutiert wurde. Es gelte, miteinander wach zu bleiben und Frauen mit unterschiedlichen Positionen in die Debatte einzubeziehen. An Themen fehle es nicht. Zentral seien weiterhin die Umweltkrise, Fragen der Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung. Zita Küng regte abschliessend an, vor Ort auch in kleinen Gemeinden weitere Aktionen zu organisieren. Dies analog dem «Rütli der Frauen» vom 1. August 2021 mit dem Motto «Würdigen, feiern, aufbrechen». Die Anlässe sollen zur Veröffentlichung auf der zentralen Website www.ch2021.ch gemeldet werden.

Nach diesem Auftakt freue ich mich auf die weiteren Jubiläumsanlässe in den nächsten Monaten. Denn unsere Geschichte, unsere Erfahrungen stehen dabei im Zentrum. Rück- und Ausblicke und das Feiern mit Frauen verschiedener Generationen wird uns stärken und ermutigen, gemeinsam immer wieder neu aufzubrechen.

Wir verwenden Cookies und ähnliche Technologien, um das Nutzererlebnis auf unserer Website zu verbessern. Durch die weitere Nutzung dieser Website stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies und ähnlichen Technologien zu. Mehr erfahren