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Kämpferin für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen

Ruth Schaub (87) ist dankbar über ihr gutes Netz, an dem sie zeitlebens geknüpft hat.
Ruth Schaub (87) ist dankbar über ihr gutes Netz, an dem sie zeitlebens geknüpft hat.

Foto und Text: Monika Fischer

Aufgewachsen ist Ruth Schaub als Einzelkind in einer jüdischen Familie. Der Grossvater väterlicherseits war aus der Ukraine eingewandert und hatte automatisch den Schweizerpass erhalten. Die Mutter kam aus einer streng orthodoxen Familie aus Basel. «Wir lebten säkular, pflegten jedoch Kontakte zur jüdischen Gesellschaft und Kultur. Die judenfeindliche Stimmung während des Zweiten Weltkriegs erfuhren wir hautnah und lebten in ständiger Angst. Wir hörten den ganzen Tag Nachrichten am Radio und bekamen regelmässig Berichte von Verwandten, wenn wieder jemand "in die Ferien abgefahren" war.»

In der fünften Primarklasse wurde sie von ihrem Lehrer, der in der deutschen Burschenherrlichkeit aktiv war, als «Saujude» beschimpft. Der Vater hatte als Solocellist an der Tonhalle Zürich zwar gute Kollegen, die ihn präventiv beschützten. Und doch begegnete er immer wieder auch Leuten, die ihn verbal und gar körperlich angriffen. Von der jüdischen Flüchtlingshilfe vermittelt, nahm die Familie regelmässig Gäste zum Mittagessen auf. Bedingt durch den nicht koscheren Haushalt waren es vor allem Künstler, darunter die Schauspielerin Therese Giehse und der Musiker Felix Mahler, ein Neffe von Gustav Mahler.

Gut erinnert sich Ruth Schaub an den 8. Mai 1945, den Tag des Waffenstillstandes. Mit ihrem Schulschatz stieg sie hinauf zum Vrenelisgärtli und beobachtete, wie erstmals nach der jahrelangen Verdunkelung während dem Krieg in Zürich wieder die Lichter brannten. «Es war wunderbar.»

Keine Chance als alleinerziehende Mutter
Ihre Kindheit war auch durch die Musik geprägt. Die Mutter war als Handelsreisende für Damenkleider die Woche über meistens unterwegs. Deshalb war sie mit ihrem Vater oft allein. Dieser pflegte ein intensives Musikleben und nahm sie zu Veranstaltungen überall hin mit. Sie begleitete ihn zuhause und an privaten Anlässen auf dem Klavier, trat aber nie öffentlich auf.

Da sie als junges Mädchen wenig Lust zum Lernen hatte, verpasste sie die Matura. In einer Buchhandlung lernte sie ihren ersten Mann kennen. Schon mit 20 bekam sie ihr erstes Kind. Um die angeschlagene Ehe zu retten, wanderte die junge Familie in einen Kibbuz nach Israel aus. Nach wenigen Monaten brach dort eine Gelbsucht aus. Deshalb kehrte sie mit den zwei Buben und schwanger mit dem dritten Kind in die Schweiz zurück.

Die Zeit nach der Scheidung war für sie als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern sehr schwierig. Sie hatte nichts gelernt und zu wenig Geld, um für sich und die Kinder sorgen zu können. Deshalb wuchsen diese beim Vater auf. «Es war für sie und für mich enorm schwierig. Umso mehr freut es mich, dass wir einen guten Draht zueinander haben.»

Erfüllte Jahre
Beim Schweizer Fernsehen machte Ruth Schaub eine Ausbildung zur Cutterin. Sie lebte bescheiden in einer Mansarde. Auf dem Spritkocher bereitete sie vollwertige Menüs zu. Nach ihrer zweiten Heirat 1959 wurde sie Mutter von zwei weiteren Töchtern. «Wir hatten ein glückliches Leben. Ich arbeitete mit meinem Mann, er war Regisseur, zusammen. Ich lernte auch Tonbandaufnahmen zu machen und war oft mit dem schweren Gerät unterwegs. Gemeinsam machten wir Tonbildschauen, zum Beispiel für Pro Juventute und für die reformierte Kirche Zürich.»

In Stammheim kauften sie ein sehr altes, unter Denkmalschutz stehendes Haus. Sie renovierten das Gebäude und richteten darin ein professionelles Studio für Film, Ton und Fotografie ein. Dank Subventionen des Kantons konnten Studenten und andere Gruppen die Arbeitsgeräte unter Anleitung auch für eigene Arbeiten nutzen. Nach sieben Jahren starb ihr Mann nach kurzer Krankheit. Ruth Schaub verkaufte das Haus, zog zurück nach Zürich und nahm ihre Arbeit beim Fernsehen wieder auf. Sie liebte ihre Arbeit, bei der sie in verschiedenste Bereiche hineinschauen und viele interessante Leute kennen lernen konnte.

Gute Wohnsituation
«Eigentlich bin ich gar nicht pensioniert, bekomme ich doch keine Rente. Bei der Aufnahme meiner Arbeit beim Fernsehen war ich für den Eintritt in die Pensionskasse zu alt», lacht sie. Eine Zeitlang reichten die als Kapital ausbezahlte obligatorische Kapitalversicherung und der Erlös aus dem Verkauf des kleinen Häuschens ihrer Mutter zum Leben. Jetzt bekommt sie einen Zusatz zur AHV vom entsprechenden Amt der Stadt Zürich. «Es ist für mich kein Problem. Ich bin es gewöhnt, mit wenig zu leben.» Vor allem schätzt sie die günstige Zweieinhalbzimmerwohnung in der Regina-Kägi-Siedlung, wo sie seit 15 Jahren wohnt. «Der Architekt wollte mit dem Bau beweisen, dass mit wenig Geld eine gute Architektur möglich ist. Das ist ihm voll gelungen.»

Einschränkungen im Alter
Nach guten Jahren beginnt ihr das Alter zuzusetzen. Bei einem Sturz an der Tramhaltestelle hatte sie eine Hand und beide Füsse gebrochen und war nach dem Spitalaufenthalt auf die Unterstützung der Spitex angewiesen. Danach erlitt sie einen Hirnschlag, von dem sie sich recht gut erholt hat. Auch ihr Sehvermögen hat abgenommen. «Ich bin gesundheitlich angeschlagen. Zwar finde ich es mühsam, wenn die Leute nur über ihre Krankheiten sprechen und jammern. Jetzt mache ich es selber auch. Das geht gegen mein Temperament. Ich habe mit dem Alter eine andere Empfindlichkeit entwickelt und manchmal eine Wut auf alles Mögliche.»

Es beschäftigt sie, dass der Freundeskreis immer kleiner wird. «25 Jahre hatten wir einmal im Monat einen Mittagstisch. Von den anfänglich 12 Frauen sind wir jetzt noch zu dritt.» Aus der früher regelmässig besuchten Schreibwerkstatt ist ein lockerer Schreibtreff im privaten Rahmen entstanden. Die eingeschränkte Mobilität bereitet ihr grosse Mühe. Es fällt ihr zunehmend schwerer, die geliebten Hauskonzerte von Berufsmusikern mit hohem Niveau zu besuchen.

Ein gutes Netz
Umso mehr freut sich Ruth Schaub über Ereignisse wie Familien- und Geburtstagsfeste, die ihrem Seelenheil wohl tun und ihr neue Energie geben. Gut informiert über das aktuelle Geschehen hält sie mit ihrer klaren Meinung auch heute nicht zurück und mischt sich mit Leserbriefen und persönlichen Schreiben ein. Zum Beispiel mit einem Brief an Bundesrat Schneider-Ammann gegen den Waffenexport in Bürgerkriegsländer. Dass sie keine Antwort erhalten hat, macht ihr nichts aus. «Ich musste meine Empörung einfach herauslassen, das tat mir gut.» Wichtig ist ihr das Mitmachen bei den Klima Seniorinnen*, das von ihrer Familie voll unterstützt wird. «Allerdings müssten wir angesichts der rasanten Klimaveränderung viel lauter und heftiger werden und mehr tun, um gehört zu werden», fordert sie energisch.

Wegen der zunehmend eingeschränkten Mobilität ist Ruth Schaub oft daheim. «Zuviel», wie sie festhält. Umso mehr schätzt sie die Kontakte in der Frauengruppe der Siedlung, wo sie bei der Organisation, an Frauenabenden oder beim Kaffeetreff Menschen mit gleichen Interessen trifft. Sie ist froh, dass sie nach wie vor Musik hören und problemlos mit dem Computer umgehen kann. Auch freut sie sich über die Postkarten aus aller Welt als Zeichen der Verbundenheit mit Familie und Freunden.

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