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Strapazierte Frauensolidarität

Bernadette Kurmann

Barbara Gysi aus dem Kanton St. Gallen stellt sich als Nachfolgerin von Paul Rechsteiner für das Präsidium der SGB zur Verfügung. Sie hat einen Hochschulabschuss, ist seit 13 Jahren Stadträtin in Wil, war Kantonsrätin, seit 2011 sitzt sie im Nationalrat, ist Präsidentin des Bundespersonalverbandes und Mitglied von UNIA und SGB. Sie tritt klar für Frauenanliegen am Arbeitsplatz ein, und die Gewerkschaften würden endlich gerne eine Frau an ihrer Spitze haben. Eigentlich ist alles klar. Wäre da nicht die Frauenikone Christiane Brunner. Sie tritt klar für Gysis Kontrahenten ins Feld und bevorzugt damit die Region gegenüber der Frauenfrage. Das bewirkt bei manch einer Frau Unverständnis, ja Entsetzen.

(Fortsetzung)

Barbara Gysi ist 54 Jahre alt und eine Frauenpolitikerin unserer Zeit. Sie will die Frauenquote in der Gewerkschaft erhöhen und sich für Frauenthemen im Arbeitsbereich einsetzen. Ihre Themen: Lohngleichheit, Rentenalter, Mindestlöhne, Vereinbarkeit von Berufsleben und Familie, flexible Arbeitszeiten usw. Wunderbar, sollte frau meinen.

Ihr stärkster Gegenkandidat ist Pierre-Yves Maillard, Regierungsrat des Kantons Waadt, Gewerkschaftsmitglied, studierter Sekundarlehrer, ehemaliger Bundesratskandidat usw. Maillard ist charismatisch und hat in der Waadt die Unternehmenssteuerreform umgesetzt, obwohl diese national stark umstritten ist. Er gilt als Mann der Tat.

Zeit für eine Frau?
"Frauenfrage im Test", titelte die LZ in einem Kommentar Mitte Oktober. "Nach 20 Jahren Männerherrschaft wäre die Zeit reif für eine Frau, denken viele. Das wäre durchaus konsequent, weil die Linke die Gleichstellungsforderungen am stärksten vertritt", schreibt Doris Kleck. Die junge Bundeshausredaktorin der LZ meint, es sei zwar ein guter Leitsatz, bei gleicher Qualifikation die Frau vorzuziehen, kommt dann aber zu einem ganz anderen Schluss: "Der Waadtländer Staatsrat Maillard ist nun halt aber der bessere Kandidat: er ist strategisch sowie rhetorisch stark und eine prägende Figur der Linken."

Eine prägende Figur der Linken ist auch Christiane Brunner. Wie Maillard kommt sie aus der Westschweiz und war selber 1994 - 98 Co-Präsidentin des SGB. 1991 war sie Bundesratskandidatin und wurde nicht gewählt. Sie war als Person für die bürgerlichen Männer nicht tragbar. Hunderttausende von Frauen streikten, setzten sich für sie ein und verlangten den Rücktritt des gewählten Francois Matthey. Bundesrätin wurde schliesslich Ruth Dreyfuss, ihre "Zwillingsschwester". Wir alle erinnern uns.

Unsolidarische Frauenikone
Ausgerechnet diese Christiane Brunner, eine Ikone für die Frauenrechte, tritt nun gegen die Frauenkandidatur für das SGB-Präsidium an und redet die Frauenfrage klein. "Wir haben zwei gute Kandidaturen, beide bringen sie politische Erfahrung, Engagement und den Willen mit, sich für die Arbeitnehmenden in der Schweiz einzusetzen. Gysi hat zudem den Frauenbonus. Die Ausgangslage ist also völlig transparent und muss sich nicht auf die Geschlechterfrage beschränken." Das schmerzt.

Würde sie doch einfach schweigen
Es ist anzunehmen, dass Christiane Brunner Pierre Yves Maillard persönlich kennt, ihn mag und für geeignet hält. Es scheint auch, dass die Romande der Meinung ist, dass nach zwanzig Jahren eines SGB-Präsidenten aus der Ostschweiz einer aus der Westschweiz an der Reihe wäre. So weit, so gut. Es steht Christiane Brunner zu, für die Kandidatur ihrer Präferenz zu stimmen. Persönlich war ich auch schon hin und her gerissen zwischen Männer- und Frauenkandidaturen und entschied mich schliesslich für den Mann, weil er mir für das entsprechende Amt geeigneter schien. Nur, ich bin nicht Christiane Brunner, und ich gehe mit meiner Meinung nicht an die Medien. Mit ihrem Vorgehen schadet diese hochverdiente Frau der Frauenfrage. Wieder einmal erweisen sich Frauen als nicht solidarisch, wieder einmal erscheinen sie zerstritten und uneinig. Wer hier lacht, sind die Männer. Wetten, dass Maillard es schaffen wird? Das finde ich zutiefst schade für uns Frauen. Hätte Christiane Brunner doch die Grösse gehabt, einfach zu schweigen.

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