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Es braucht die Frauen

Bernadette Kurmann

Seit dem Wahlsonntag am 20. Oktober 2019 hat die Schweiz 20 zusätzliche Nationalrätinnen gewonnen - über alle Parteien hinweg. 84 Frauen politisieren im Nationalrat. Auch in den Ständerat werden höchstwahrscheinlich mehr Frauen als bisher einziehen. Das gab es noch nie: Der Frauenanteil stieg um 10 - von 32 auf 42 - Prozent. Damit haben wir mehr Frauen im nationalen Gremium als Österreich, Deutschland, Frankreich und Dänemark. Wie war das möglich? Das Ergebnis ist alles andere als zufällig. Es ist das Ergebnis einer gezielten Planung und der harten Arbeit ganz vieler Frauen.

(Fortsetzung)

«halbe-halbe – Mehr Frauen in die Politik» lancierte im März 2018 die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF den Videospot «halbe-halbe». Sie wollte damit mehr Frauen für politische Ämter gewinnen – und die Parteien auffordern, dass sie die dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen. «Wir lassen uns nicht aufhalten», «wir sind da, wo es uns braucht» oder «wir machen Politik, weil Politik unseren Alltag bestimmt»: Aussagen aus dem Video der EFK.

Zum internationalen Tag der Frau 2019 gab es in der ganzen Schweiz Demonstrationen, Diskussionsrunden, Filmvorführungen, Petitionsübergaben, Konzerte und Stadtrundgänge. Das Themenspektrum reichte von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Frauen auf der Flucht über die Beschneidung von Mädchen bis zur «Body Positivity». In Bern hatten die Gewerkschaften zu einer Demonstration für Lohngleichheit aufgerufen. Sie protestierten gegen den Entscheid des Ständerats, die Unternehmen nicht zu Lohnanalysen zu verpflichten. Rund 100 000 Frauen beteiligten sich am Frauenstreik. Er war einer der grössten Streiks in der Schweiz überhaupt und die Frauen spürten, wie stark sie gemeinsam sind.

Helvetia ruft!
Damit nicht genug. Auch die überparteiliche Kampagne der alliance F (politische Stimme der Frauen in der Schweiz) und der Operation Libero forderte die Frauen auf, die Zahl der Entscheidungsträgerinnen in der Schweizer Politik zu erhöhen und damit zu einer Verbesserung der Demokratie beizutragen. Ihre Forderung: ein Parlament, in dem Männer und Frauen gleich stark vertreten sind. Dazu schufen sie die Kampagne «Helvetia ruft!»

Mit ihrer Homepage ermunterten auch sie die Frauen zu Kandidaturen: «Bist du Teil von Helvetias Bewegung der Frauen in die Politik? Möchtest du wissen, was es heisst, zu kandidieren? Hast du Lust, unsere Gesellschaft zu gestalten? (…) Als Politikerin kannst du diese Rahmenbedingungen mitgestalten. Bring deine Sichtweise, deine Schwerpunkte und deine Visionen ein! Die Politik bestimmt die Spielregeln, die deinen Alltag ausmachen: Wie wir in der Gesellschaft zusammenleben, welche Entfaltungsmöglichkeiten du hast, wie sich Arbeitswelt und Familie vereinbaren lassen.»

Es folgten Veranstaltungen, Kundgebungen, aber auch Schulungen, die auf den Wahlkampf vorbereiteten. Erfahrene Politikerinnen verrieten Kandidatinnen Tipps und Tricks, wie frau sich optimal auf den bevorstehenden Wahlkampf und die politische Arbeit vorbereitet. Helvetia hat die Frauen gerufen, gesucht, vernetzt und unterstützt.

Ein grossartiger Erfolg
Der Erfolg dieser Aktionen war schliesslich gross: Eine überparteiliche Bewegung der Frauen wurde lanciert und damit eine Welle ausgelöst. Noch nie hatten sich so viele Frauen zur Wahl gestellt. 1873 Frauen kandidierten für die Nationalratswahlen, 565 Frauen oder 5,8 Prozent mehr als 2015. Fast alle Parteien, Vereine und Frauenverbände jeglicher Couleur hatten sich in der Folge für Frauenkandidaturen eingesetzt. Am Wahlsonntag zeigte sich: Mit Ausnahme der BDP wurde der Frauenanteil in allen Parteien im Nationalrat gesteigert. Das alleine ist grossartig und weckt Hoffnung.

Warum braucht es Frauen?
Warum ist es so wichtig, dass Frauen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und in der Kirche teilnehmen und teilhaben? „Eigentlich ist diese Frage überflüssig“, sagt die Präsidentin der EFK Yvonne Schärli-Gerig: «Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Allein deshalb sollten sie in allen Bereichen der Gesellschaft entsprechend vertreten sein.» Komme hinzu, dass Frauen anders sozialisiert seien als Männer: «Sie sind anders vernetzt und verkehren weniger in den Machtzentren dieser Welt. Sie wählen in ihrem Leben oft andere Schwerpunkte und bringen Erfahrungen aus Familien-, Kinder- und Care-Arbeit ein.» Kurz, Frauen hätten einen anderen Fokus auf diese Welt und politisierten unabhängiger. Yvonne Schärli-Gerig: «Soll diese Welt gerechter werden, braucht es mehr Frauen.»

Ziel noch nicht erreicht
Neu sind über 40 Prozent Frauen im Nationalrat vertreten. Auch im Ständerat wird sich die Frauenquote noch nach oben verschieben. Aber die Frauen werden sich beweisen müssen. In der Arena vom 25. Oktober 2019 mit je zwei Frauen aus dem linken und rechten Spektrum zeigte sich deutlich, dass Frausein noch keine Einigkeit bedeutet. Frauen politisieren nicht einheitlich, nur weil sie Frauen sind. Bei Frauenthemen wie gleiche Rechte und Chancen für Frauen und Männer in Politik und Wirtschaft vertraten die vier Frauen sehr unterschiedliche Positionen. Das darf sein.

Aber: Die Grundlagen in der Schweizerpolitik haben sich mit dem Rutsch zugunsten der Frauen und der Grünen verändert. Um Lösungen zu finden, braucht es nun Kompromisse und Allianzen. Ob die Frauen dazu Hand bieten, muss sich weisen und bleibt zu hoffen. Wenn nicht, werden sie es bei der Wahl in vier Jahren schwer haben. Die Schweizerfrauen haben es mit der Wahl 2019 weit gebracht. Aber am Ziel angekommen sind sie noch nicht. Für halbe-halbe werden sie bis 2023 weiterkämpfen müssen: In den Gemeinden, in den Kantonen und auf Bundesebene.

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