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«Zeitlebens musste ich kämpfen»

«Es macht mich zufrieden und glücklich, wenn ich das Gelungene wertschätzen kann»
«Es macht mich zufrieden und glücklich, wenn ich das Gelungene wertschätzen kann»

Foto und Text: Monika Fischer

Eine Ausbildung war für sie nicht vorgesehen. Als zweitältestes von neun Kindern aufgewachsen, war ihre Arbeitskraft nach der obligatorischen Schulzeit im Haushalt und auf dem Bauernhof gefragt. Doch Marietta Kneubühler-Kunz setzte sich durch. Sie besuchte die Bäuerinnenschule, die Kunstgewerbeschule, teilte mit ihrem Mann die Berufs- und Familienarbeit und bildete sich später zur Kunsttherapeutin aus. Das Kämpfen machte sie wohl zeitweise müde, setzte jedoch auch kreative Kräfte frei für das, was sie wollte und ihr wichtig war. Geprägt durch ihre bäuerliche Herkunft setzt sie sich intensiv mit den Prozessen des Lebens, mit dem Werden, Wachsen und Vergehen auseinander. Im Buch «Eine Rose zum Loslassen» verbindet sie ihre Erfahrungen als Sterbebegleiterin mit ihrem Wissen über die Bedeutung der Farben.

(Fortsetzung)

Mutig und hartnäckig
Schon früh nutzte Marietta Kneubühler jede Gelegenheit zum kreativen Gestalten, und sie setzte ihre eigenen Ideen durch. In der Bäuerinnenschule entwarf und wob sie anstelle eines Tischtuchs im Heimatstil ein modernes Kostüm für ihre Mutter. Sie hat es bis heute aufbewahrt. Im Elternhaus weckten die alten Bauernmöbel ihr Interesse für die Bauernmalerei. Die nötigen Kenntnisse holte sie aus Fachbüchern und bei Kursen am Schweizerischen Heimatwerk. Auf der Suche nach einer soliden Grundlage bewarb sie sich um die Aufnahme an der Kunstgewerbeschule Luzern. Mehrmals stellte sie sich dort mit einer Mappe mit ihren Arbeiten vor. Vergebens. Ohne Matura und Berufsabschluss hatte sie keine Chance. Dank ihrer Hartnäckigkeit konnte sie schliesslich die Fächer freie Malerei, Zeichnen, Holzschneiden und Kunstgeschichte besuchen, jedoch keinen Abschluss machen. Obwohl es nicht einfach war, hielt sie fünf Jahre durch. «Der Professor, der mich abgewiesen hatte, organisierte später meine erste Vernissage», schmunzelt sie rückblickend. Die Ausstellung wurde zum grossen Erfolg. Dies motivierte sie, dranzubleiben und sich an der Internationalen Sommerakademie in Salzburg und bei Studienaufenthalten in Rom und Florenz weiterzubilden. Daneben restaurierte und bemalte sie zuhause alte Bauernmöbel.

Verbindung von Familien- und Berufsarbeit als Wagnis
Diese Arbeit setzte sie nach ihrer Heirat 1969 mit Bruno Kneubühler und der Geburt der fünf Kinder fort. Das Paar suchte nach einem Weg, der die finanziellen Bedürfnisse der Familie abdeckte und gleichzeitig den Neigungen der einzelnen Familienmitglieder so gut wie möglich gerecht wurde. Die Frau und Mutter sollte sich als Malerin entwickeln können, der Vater möglichst viel mit der Familie zusammen sein. Versuchsweise blieb der gelernte Elektrokaufmann an einem Mittwochnachmittag zu Hause. Marietta Kneubühler erteilte während dieser Zeit Kreativkurse. 1981 entschlossen sie sich für ein Wagnis. Bruno Kneubühler gab seine Erwerbsarbeit auf. Sie teilten sich die Kinderbetreuung und restaurierten gemeinsam alte Bauernmöbel im hauseigenen Atelier. Bruno Kneubühler laugte die Möbel ab, reparierte Schlösser und beschädigte Teile, besorgte die Grundbehandlung und war für das Kaufmännische zuständig. Marietta Kneubühler restaurierte alte Malereien oder bemalte die Möbel stilgerecht gemäss alter Vorlagen.

Kraft aus dem Engagement
Obwohl ihr viele Jahre eine Haushaltlehrtochter zur Seite stand, brachte sie die Mehrfachbelastung als Mutter, Hausfrau, Geschäftsfrau, Künstlerin hie und da an ihre Grenzen. «Es gab Stunden der Überlastung mit grosser Müdigkeit und finanziellen Zukunftssorgen, in denen wir uns fragten, wie wir weitermachen können. Doch bin ich rückblickend froh, durchgehalten zu haben. Ich habe gelernt, meine Kräfte einzuteilen und erfahren, dass ich überall dort, wo ich mich engagiere, auch neue Energie schöpfen kann.» Einen Ausgleich zur Berufsarbeit mit der Strenge der Ornamentik in der Bauernmalerei fand sie im freien Gestalten mit verschiedenen Techniken. Sie malte gerne und viel draussen in der Natur, wo sie ihre Motive fand. Dabei entstanden farbenfrohe Bilder mit üppigen Blumengärten und weiten Landschaften. Ihre Werke, die sie an Kunstausstellungen zeigte, strahlen Lebensfreude und Optimismus aus. «Sie gründen in meiner steten Suche nach dem Ursprung, nach der wahren Natur der Dinge und wirken sich wohltuend auf die Betrachtenden aus.»

Teil eines grossen Ganzen
Durch den intensiven Kontakt mit der Natur erfuhr Marietta Kneubühler zunehmend deren Bedrohung durch Umwelteinflüsse. Dies motivierte sie für ihr Engagement für die Umweltarbeit. Sie gründete den «Arbeitskreis Umwelt» und hielt unter dem Motto «Häb Sorg zum Wasser» zahlreiche Vorträge. Die von der Gruppe zu diesem Thema geschaffene Broschüre erschien in sechs Auflagen mit rund 10'000 Exemplaren.
Mit ihren Ideen und ihrem Engagement eckte sie hie und da auch an. Wenn sie von einer Sache überzeugt war, setzt sie sich mit allen Kräften, mit Ausdauer und Beharrlichkeit dafür ein. Dies machte sie für manche unbequem. Warum trotzdem dieses Engagement? «Es hat zu tun mit der Einsicht, dass im Leben alles miteinander verknüpft ist und eines das andere bedingt. Wir sind als Lebewesen Teil eines grossen Ganzen und tragen Verantwortung. So sind auch die Tätigkeiten als Mutter, Partnerin, Hausfrau, Malerin, Umweltfrau eng miteinander verknüpft, wirken gegenseitig anregend und befruchtend.»

Kunsttherapeutin und Sterbebegleiterin
Mit den Jahren verstärkte sich ihr Bedürfnis, mit Menschen statt mit Möbeln zu arbeiten. Dies wurde finanziell erst möglich, als die fünf Kinder selbstständig waren. Nach einem fünfjährigen, berufsbegleitenden Studium erlangte Marietta Kneubühler 2001 das Diplom als Kunsttherapeutin ITP. Bis zu ihrer Pensionierung 2007 arbeitete sie in einem Teilpensum als Kunsttherapeutin an der kantonalen Jugendpsychiatrischen Therapiestation JPS in Kriens, wo sie die Kunsttherapie aufbaute.
Schon im Studium hatte sie sich mit der Begleitung von Menschen in schwierigen Situationen und der Trauerarbeit auseinandergesetzt. Die Prozesse des Lebens mit dem Werden, dem Wachsen und Vergehen hatten sie seit jeher beschäftigt. «Auf unserem Bauernhof und in der Familie gehörten Geburt und Tod zum Lebenszyklus. Ich erlebte die Hausgeburten meiner jüngeren Geschwister mit, begleitete das Sterben der Grosseltern und erlebte mit acht Jahren das Sterben meiner Schwester Irene kurz nach ihrem ersten Geburtstag. Der kleine Sarg stand in unserer Stube, wo wir spielten und assen. Er gehörte ganz einfach dazu.»
Spontan erklärte sich Marietta Kneubühler vor 17 Jahren bereit, eine schwerkranke junge Frau beim Sterben zu begleiten. «Es war für mich eine prägende Erfahrung. Sie machte mir die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen bewusst.» Aus dieser Motivation heraus baute sie an ihrem Wohnort Willisau mit gleichgesinnten Frauen eine Begleit- und Sitzwachgruppe auf. Wie häufig in ihrem Leben, setzte sie auch für dieses Anliegen viel Zeit und Kraft ein – mit Erfolg. 2015 wurde sie für ihre Aufbau- und Leitungsarbeit mit dem Anerkennungspreis der Stadt Willisau ausgezeichnet.

Zeit für sich
Nach ihrer Pensionierung wusste Marietta Kneubühler: «Ich kann nicht nur für andere, sondern muss auch für mich sorgen.» Seither nimmt sie sich regelmässig Zeit für sich und die Bewegung, was neben der Berufsarbeit zu kurz kam. Sie turnt im Frauenverein, macht dreimal wöchentlich ein frauenspezifisches Training und ist oft mit dem Velo unterwegs.
Sie malt, gestaltet und werkt gemeinsam mit den sieben Enkelkindern oder strickt Schals, Kinderpullis oder Mützen zum Verschenken. Gerne besucht sie alte Menschen und hört deren Lebensgeschichten an. Unzufriedene ermuntert sie, den Blick auf das Geleistete zu lenken und dieses wertzuschätzen.

Eine Rose zum Loslassen
Im Hinblick auf die beschränkte Lebenszeit steht auf ihrer Pendenzenliste das Aufräumen zuoberst. «Manchmal erfasst mich eine Art Panik, wenn ich an meine vielen Bilder im Atelier denke.» Und doch hat Marietta Kneubühler immer wieder neue Ideen und Pläne, die sie mit dem gewohnten Elan umsetzt. In den letzten Monaten schuf sie mit Texten aus ihrem Notizbuch und eigenen Illustrationen das Buch «Eine Rose zum Loslassen», als Geschenk für sich selber und zum 15-jährigen Bestehen der Begleit- und Sitzwachgruppe. Ausgehend von einer ihrer ersten Sterbebegleitungen beschreibt sie, wie sie eine sterbende Frau mit Rosen in verschiedenen Farben begleitete. «Die Farben der Rosen gaben Impulse für Gespräche. Die auftauchenden Erinnerungen und Erlebnisse konnten sich dadurch wandeln und losgelassen werden.»

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