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Frauen werden ermordet, weil sie Frauen sind

Bernadette Kurmann

Im Raum Zürich schockten über den Sommer 2019 Schlagzeilen wie «Mann tötete seine Frau» in Wädenswil, Affoltern am Albis und Wiedikon usw. Bis Ende August waren es sieben Morde. Immer waren es Frauen, die umgebracht wurden. Die Wahrscheinlichkeit, zuhause Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, ist für Frauen auf der ganzen Welt hoch. 2018 kam es hierzulande fast alle zwei Wochen zu einem Frauenmord. Täter sind fast immer Männer. 2018 war das in 88 Prozent der Fall. Zwischen 2009 und 2016 fand die Hälfte aller Tötungsdelikte im häuslichen Umfeld statt. Und das in der Schweiz, die als Hort der Sicherheit gilt. Oft werden solche Morde in den Medien verharmlost. Von einem Familien- oder Beziehungsdrama ist die Rede. Aber umgebracht werden Frauen. Fast zur Tagesordnung gehören sogenannte Femizide in afrikanischen, südamerikanischen und arabischen Staaten. Wo immer Frauen im familiären Umfeld gewaltvoll zu Tode kommen, ist der Hintergrund eine sexistische Gesellschaftsstruktur, in der Männer Macht über Frauen ausüben.

(Fortsetzung)

Am wenigsten sicher sind Frauen im eigenen Heim. Dies zeigt der Femicide Report 2018 der Uno-Abteilung für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC). Laut der Studie werden die meisten Morde an Frauen von Lebenspartnern und Familienmitgliedern begangen. Danach kamen 2017 87 000 Frauen durch die Hand von Dritten ums Leben. Am stärksten gefährdet sind Frauen in afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Ländern. Oft sind Familienmitglieder der Ansicht, dass die Frau Schande über die Familie gebracht habe. Deswegen wird sie aus dem Weg geräumt. Frauen werden von ihren Familien auch ermordet, weil sie schwanger sind oder nach einer Vergewaltigung, weil sie nicht mehr verheiratet werden können. In südasiatischen Ländern treten Morde auch im Zusammenhang mit der Mitgift auf.

Frauen in arabischen Ländern leben gefährlich. Der gewaltsame Tod kann sie jederzeit erreichen: Weil ein Mann oder Freund ihrer überdrüssig wird, weil sie sich nicht so benehmen, wie es sich die Familienvorsteher vorstellen, weil sie zu lebenslustig sind, weil sie vermeintlich Familiengeheimnisse ausgeplaudert haben. Frauen haben keinen Wert und werden als Besitz des Mannes angesehen. Eine Redewendung lautet: „Ich habe sechs Brüder und meine Schwester.“ Gemeint ist, dass es zwar einige Schwestern gibt, diese aber sind nicht nennenswert.

Das Täterprofil
Hilo Glazer, israelischer Journalist, hat mit Frauenmördern in seinem Land gesprochen (Das Magazin Juni 2019). Die meisten waren zur Tat minderjährig und wurden vom Vater oder einem Bruder zur Tat überredet. «Ich war hauptsächlich frustriert über mein eigenes Leben. Und meiner Schwester gegenüber war ich eher gehemmt. Denn sie besass so viel Lebenslust, hatte Freunde und alles…»

Meist ist es das schwächste oder jüngste Familienmitglied, das für eine Tat ausgesucht wird. Sehr oft sind sie minderjährig und haben mit einer geringeren Strafe zu rechnen. Täterfamilien opfern gerne den Jüngsten. Aber auch diese sitzen nach der Tat Jahrzehnte lang im Gefängnis. Ihr Leben ist nach einer solchen Tat zerstört. Die Sozialarbeiterin Maya Ofgang sagt: „Das sind in der Regel Männer, die in ihrer Kindheit selbst viel Gewalt erlebt haben. Die immer den Mund zu halten hatten und nie gelernt haben, Gefühle auszudrücken.“ Ihre Steuerungsfähigkeit ist hoch. Ein Familienmitglied liefert ihnen die passende Story, die Schwester habe das oder jenes verbrochen. Der Kleine erhält so die Möglichkeit, in die „Familienelite aufzusteigen“. Wird eine Frau eines Familienclans getötet, dann ist von „Familienehre“ die Rede. Für Maya Ofgang sind diese Beschreibungen nichts weniger als „der Mülleimer, in den alles hineinkommt, was als Rechtfertigung für Frauenunterdrückung herhalten kann“.

Die Schweiz beginnt sich zu wehren
Zurück in die Schweiz. Das Muster für Femizide in der Schweiz ist ähnlich. Männer jeglichen Alters und verschiedenster soziokultureller Herkunft brächten Frauen und ihre Kinder um, weil sie diese als ihren Besitz betrachten würden, schreibt Stefan Schmid im Tages Anzeiger (vom 31.8.2019). Diese Morde wurden lange Zeit hingenommen, ja sogar verharmlost. Hierzulande ist zwar nicht von «Familienehre» die Rede, aber von Familien- oder Beziehungsdramen. Als ob sie sich einfach so ereignen würden. Das Gegenteil ist richtig: Frauen werden gezielt ermordet, weil sie Frauen sind.

Dagegen macht sich nun die oberste Polizistin der Schweiz, Johanna Bundi Ryser, stark. Sie fordert mehr Opferschutz als Täterschutz. Sie fordert mehr Präventionsarbeit, um die Frauen rechtzeitig zu schützen: z.B. mit Präventivhaft und einem besseren Informationsfluss zwischen den Ämtern. Denn sehr oft würden die gewaltvollen Männer bereits im Vorfeld der Tat auffällig.

In der Schweiz gibt es seit Kurzem eine Bewegung, die sich den Frauenmorden annimmt. „Ni una menos“ (Nicht eine Frau weniger) ist ihr Slogan. Er stammt aus Südamerika, wo Frauen regelmässig auf die Strasse gehen, wenn im Familienumfeld wieder eine Frau gewaltvoll zu Tode kam. In Zürich hat das feministische Frauenstreikkollektiv einen Aufmarsch organisiert. Der Helvetiaplatz wurde symbolisch in „Ni una menos“-Platz umgetauft. Es soll sichtbar werden, dass die Frauenmorde nichts anderes sind, als der Ausdruck einer sexistischen Gesellschaftsstruktur. Ein Anfang.

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