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Zankapfel Frauenrentenalter: Eine faire Lösung ist möglich

Marie-Louise Barben

Ich gehöre dem Jahrgang an, der als letzter mit 62 in Rente gehen konnte. Das war im Jahr 2000. Ich fand, das sei nach gut 10 Jahren Gleichstellungsarbeit ein guter Zeitpunkt. Seither wurde das Rentenalter der Frauen auf 63 (2001) und dann auf 64 (2005) erhöht. Seit meiner Pensionierung sind nun fast 20 Jahre vergangen. Zwei Abstimmungen in den Jahren 2010 und 2017, die die Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 vorschlugen, wurden abgelehnt. Die nächste Abstimmung steht uns 2021 bevor. Die Vorlage des Bundesrats sieht Rentenalter 65 für Männer und Frauen vor.

(Fortsetzung)

Zur neuen AHV-Vorlage haben die Parteien schon vor der Sommerpause Stellung bezogen. Die SVP, die FDP und die CVP sind für die Erhöhung des Rentenalters der Frauen; die SP und die Grünen wollen das heutige unterschiedliche Rentenalter beibehalten, die GLP schlägt vor, das Rentenalter über einen Zeitraum von 6 Jahren für beide Geschlechter auf 66 zu erhöhen. Die BDP will das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln.

Die Diskussion über die Erhöhung des Rentenalters ist überlagert von der Diskussion über die Finanzierung der AHV. Das ständige Gejammer nervt. Ich zitiere die WoZ (11.7.2019): Vor jeder AHV- Reform schüren die Bürgerlichen die Rentenhysterie (..). Doch anders als immer wieder beschworen ist das wichtigste Sozialwerk des Landes nicht zusammengebrochen. Und das wird auch auf absehbare Zeit nicht der Fall sein. Die AHV lässt sich mit vergleichsweise moderaten Zusatzfinanzierungen und Übergangshilfen für RentnerInnen stabilisieren. Die reiche Schweiz kann sich das leisten.

Fragen über Fragen
Ist das Frauenrentenalter65 tatsächlich nicht verhandelbar? Muss ich als alte Gleichstellungsbeauftragte nicht für die Gleichbehandlung der Geschlechter sein? Soll ich den juristischen Grundsatz in den Vordergrund stellen, dass man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln soll und damit gegen die Erhöhung sein, solange die Lohngleichheit nicht erreicht und die Care-Arbeit ungleich verteilt ist? Soll ich aus meiner persönlichen Erfahrung, dass ich sehr gut bis 70 arbeiten konnte und es mit Freude getan habe, schliessen, dass ein Jahr länger arbeiten problemlos drin liegt? Soll ich pragmatisch der Erhöhung zustimmen, damit wir in dieser AHV-Diskussion endlich mal einen Schritt weiterkommen?

Zwei Fachfrauen
Kürzlich bin ich auf einen Artikel in der «Republik»[1] gestossen, der mein Problem auf den Punkt bringt, aber nicht löst. Mascha Madörin, feministische Ökonomin, und Monika Bütler, Volkswirtschaftsprofessorin an der Hochschule St. Gallen diskutieren. Mascha Madörins Meinung lautet zusammengefasst: Der Skandal, dass Frauen insgesamt 100 Milliarden weniger am Arbeitsmarkt verdienen, kann nicht undiskutiert hingenommen werden. Sie führt aus: Der monetäre Wert unbezahlter Arbeit für die Kinderbetreuung beträgt geschätzte 105 Milliarden Franken pro Jahr; Frauen tragen 70 Milliarden davon. Sie will, dass endlich darüber geredet wird, wie wir in Zukunft jene Arbeit finanzieren, die nie effizient sein wird wie eben Kinderbetreuung oder Altenpflege. Das unterschiedliche Rentenalter sei unsere letzte Chance. Wenn das Frauenrentenalter tatsächlich angehoben wird, wie setzen wir nachher durch, dass die Einkommenslücke tatsächlich angegangen wird?

Monika Bütlers Meinung lautet zusammengefasst: Das tiefere Rentenalter der Frauen ist paternalistisch. Bis 1956 lag das Rentenalter für alle bei 65 Jahren. Weil Ehefrauen typischerweise jünger sind als ihre Ehemänner, wollten die männlichen Parlamentarier, dass ihre im Schnitt drei Jahre jüngeren Frauen gleichzeitig mit ihnen in Pension gehen und so die Ehepaarrente ausgerichtet werden konnte. Mit Wertschätzung für die unbezahlte Arbeit der Frauen hat das wenig zu tun. Eine Diskussion über die Erhöhung der AHV-Gutschriften für Kinderbetreuung und Angehörigenpflege oder über die Erhöhung der Minimalrenten wäre sinnvoll. Das unterschiedliche Rentenalter sei nicht mehr haltbar.

Eine Lösung möglich?
Bütler hat durchaus Sympathien für den feministischen Kampf, aber sie findet das Frauenrentenalter sei das falsche Objekt. Madörin hingegen ist der Meinung, man dürfe diese wichtige politische Karte nicht aus der Hand geben. Auf die Frage von Bütler, was man ihr bieten müsste, damit sie zur Erhöhung des Rentenalters ja sagen würde, antwortet Madörin: «Nichts. (..) Aber wir verlieren die Chance auf eine extrem wichtige Debatte. (..) Das ist ganz einfach ein schlechter Deal. Ich will, dass wir kämpfen.»

Beide Fachfrauen setzen sich für Frauenanliegen ein, wenn auch an unterschiedlichen Fronten. Ich bin fast sicher: Madörin und Bütler würden einen fairen Kompromiss finden, denn die Diskussion der beiden Fachfrauen war – trotz ihrer unterschiedlichen Positionen – getragen von Wertschätzung, Sachlichkeit und Fairness. So kommen Lösungen zustande.


[1] «Paternalistisches Überbleibsel oder feministisches Pfand. In: REPUBLIK, 24.7.2019, von Elia Blülle und Olivia Kühni.

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