Schliessen

Eine Welt für Männer

Bernadette Kurmann

Während der Sommerferien ging eine Meldung aus Japan durch die Medien. Dort wurden Frauen an der Aufnahmeprüfung für ein Medizinstudium systematisch diskriminiert, ja regelrecht beschissen. Die Verantwortlichen der Tokyo Medical University stuften die weiblichen Prüflinge durchgängig schlechter ein, ihren männlichen Kollegen erhöhten sie die Punktezahl. Grund: Das Land brauche Vollzeit arbeitende Männer. Das geschah unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ihr spielten sie vor, die Prüfung sei neutral und verlaufe gerecht. Mich traf diese Meldung tief ins Mark. Ich war überrascht, wie mich diese weibliche Diskriminierung - eine unter Tausenden - erschütterte. Warum nur?

(Fortsetzung)

Ich weiss es längst, dass weibliche Föten weltweit zu 100 000en abgetrieben werden, Mädchen von Ausbildungen ausgeschlossen und Frauen auf der ganzen Welt Gewalt ertragen müssen. Ich weiss, dass Frauen in der katholischen Kirche keine Priesterinnen sein können, und ich weiss, dass bei uns Frauen wegen ihrem Geschlecht schlechter bezahlt werden und auf Chefetage noch immer kaum anzutreffen sind. Ich habe mich an vieles gewöhnt und trage in der Zwischenzeit diese Ungerechtigkeiten resigniert-pragmatisch: "Nichts zu ändern, ich weiss." Nun trifft mich diese Schlagzeile einmal mehr tief. Japan ist eine so genannt zivilisierte, demokratische Nation. In diesem aufgeklärten Land sollen junge Frauen während Jahren systematisch ausgetrickst worden sein? Die Medien schrieben, eine Quote wäre in Japan durchaus denkbar gewesen. Die Verantwortlichen aber wählten den scheinbar einfacheren Weg, den der Täuschung der Öffentlichkeit und des Betrugs.

Vorbilder prägen
Wie hatte ich als Mädchen oft das Gefühl, dass Männer gescheiter seien als Frauen. Ich hörte von Nobelpreisträgern und einer oder zwei Nobelpreisträgerinnen. In den Medien las ich von hochgepriesenen Dirigenten, Musikersolisten, Malern, Professoren. Frauen fehlten meist. Von der Kirche wurde ein dreifaltiger Gott vermittelt, der aus lauter Männern besteht. Als Kind vermisste ich die Frau in dieser "Familie". Die hoch gehaltene Frau in der Kirche war Maria, die reine Dienerin und Magd. In der Familie war der Vater das Oberhaupt und die Mutter auch irgendwie eine Magd. Vater brachte das Geld heim und Mutter kochte und putzte. Und das war nicht nur in meiner Familie so.

Strukturelle Gewalt
Es ging lange, bis ich merkte, dass diese Unterschiede nicht an den Fähigkeiten der Frauen liegen, sondern hausgemacht sind. Dass es die patriarchalen Gesellschaften sind, die Frauen klein machen und klein halten wollen. Strukturelle Gewalt heisst dieses Phänomen, und wir Frauen haben die Lektion gelernt und die Diskriminierung verinnerlicht. Frauen trauen sich weniger zu als Männer, sie verlangen weniger Lohn, wagen sich am Arbeitsplatz kaum zu wehren, fühlen sich weniger gut und stark. Oft wird das ihnen zum Vorwurf gemacht. Es ist ein Teufelskreis. Denn Frauen sind und waren vorwiegend Mütter und geben bis heute - meist unbewusst - diese verinnerlichten Gefühle an ihre Töchter und Söhne weiter.

Japan nur ein Beispiel
In Japan sind Ärzte erwünscht, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Ärztinnen und alle anderen Frauen können hier in der Regel nicht mithalten. Von japanischen Frauen wird erwartet, dass sie nach der Heirat aus der Arbeitswelt verschwinden und sich nur noch um Haushalt und Kinder kümmern. Die japanische Arbeitswelt ist auf Männer ausgerichtet, und ihr täglicher Kampf enorm. Japaner arbeiten fast bis zum Umfallen. Die Frauen sollen ihnen deshalb den Rücken frei halten. Langsam wächst die Idee, diese lebensfeindliche Arbeitswelt zu verändern. Nicht etwa, um den Frauen die Chance für ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Nein, Japan ist überaltert, das Land braucht zusätzliche Arbeitskräfte. Nun werden Frauen plötzlich von der Politik umgarnt, und Kinderkrippen werden aus dem Boden gestampft. Eine Chance trotzdem.

Fehlende Sensibilität gegenüber Unrecht
Ich möchte nicht nur auf Japan schauen. Lange Zeit war die Situation in der Schweiz ähnlich. Dank der Frauenbewegung hat sich Vieles zum Besseren gewandelt. Dass in der Schweiz nach wie vor nicht alles zum Besten steht, zeigen Kommentare auf den Japan-Artikel im Internet am Tag danach. Ausschliesslich Männer haben sich gemeldet. Hat es den Frauen - wie mir - die Sprache verschlagen? Die meisten reagierten hämisch und machten aus dem Problem des Unrechts eine Frage der Quoten. Ein Beispiel von Daniel Fuchs: "Tja... So ist das halt mit den Quoten. Schon lustig, wie alle, die meist dafür sind, jetzt Skandal schreien." Ich weiss, wie schnell und undifferenziert im Internet Meinungen abgegeben werden. Doch das fehlende Unrechtsbewusstsein gegenüber eines Betrugs an japanischen Frauen, befremdet mich.

Kein Gentleman-Delikt
Ich weigere mich, uns Frauen als Opfer zu erfahren. Ich habe mich ein Leben lang gegen weibliche Diskriminierung eingesetzt - und damit böse Reaktionen in Kauf genommen. Trotzdem empören und verletzen mich Machenschaften, wie sie nun in Japan offenkundig geworden sind. Ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass Frauen überall auf der Welt benachteiligt und so in ihrer persönlichen Entwicklung behindert werden. Das auch in so genannt aufgeklärten Gesellschaften. Was in Japan geschehen ist, ist keine Gentleman-Delikt. Es ist Betrug und gehört bestraft.

Wir verwenden Cookies und ähnliche Technologien, um das Nutzererlebnis auf unserer Website zu verbessern. Durch die weitere Nutzung dieser Website stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies und ähnlichen Technologien zu. Mehr erfahren