Bernadette Kurmann
Es ist Sonntag, 7. Februar 2021: 50 Jahre Frauenstimmrecht. Der Rückblick auf meine Erfahrungen verwirrt mich. Ich war damals 21 Jahre alt und der Abstimmungssonntag war ein Glückstag für mich. Doch mein Leben als junge Frau im katholischen Umfeld war einengend. Ich versuchte, mich an den mutigen Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht zu orientieren und fand wenig Unterstützung. In einem Jahr würde ich meine Lehre als Krankenschwester abschliessen. Und bange fragte ich mich: Was kommt danach?
(Fortsetzung)
Meine Mutter hatte sieben Kinder, mein Vater war ein liebenswürdiger Patriarch. Ein Leben zu führen wie meine Mutter, konnte ich mir nicht vorstellen. Sie war keine unterwürfige Frau, aber stark geprägt von ihrer Erziehung im bäuerlichen Umfeld und abhängig. Unter keinen Umständen wollte ich werden wie sie. Dieser Gedanke trieb mich an. Nach Lehrabschluss holte ich die Matura nach. Das Glück, das ich empfand, als ich die Vorlesungen an der Uni besuchte, war unbeschreiblich. Ein erstes Etappenziel zu meinem eigenständigen Leben war erreicht.
Gleiche Möglichkeiten für beide
Ich lernte meinen heutigen Mann kennen. Als ich mit ihm über Gleichberechtigung und meine Vorstellung von Familienleben diskutierte, hörte ich etwas, das ich bisher nicht kannte: «Du hast recht, ich verstehe dich.» In meinem Umfeld war ich bisher mit meiner Vorstellung von Gleichberechtigung nur auf Unverständnis, Ablehnung und Häme gestossen. In vielen Gesprächen kamen wir überein, dass wir gleichberechtigt leben wollten. Ein weiteres Ziel war erreicht. Für beide sollte die Vereinbarung von Beruf und Familie möglich sein.
Als ich meinen Eltern erzählte, wir würden zusammen in Zürich eine Wohnung beziehen, war mein Vater nicht länger bereit, für mein Studium aufzukommen. «Auf diese Schwelle der Sünde werde ich keinen Fuss setzen», drohte er. Es war mein Vorteil, dass ich die Lehre abgeschlossen hatte. An Wochenenden und in den Ferien arbeitete ich im Spital und war in der Lage, mein Studium selber zu finanzieren. Ich hatte mich von meinem Zuhause abgekoppelt, war stolz darauf – gleichzeitig hatte ich Gewissensbisse. Der Abschluss des Studiums war ein weiterer Meilenstein zum eigenständigen Leben.
Heirat und Namenswahl
Als Journalistin war ich glücklich. Ich liebte die vielen Einsätze, das stressige Leben bis in alle Nacht hinein. Nach ein paar Jahren klopfte mein Partner sanft bei mir an. Mit Matura, Studium und der spannenden Arbeit als Journalistin waren die Jahre nur so verflogen. Er hatte recht: Wenn wir das Ziel Familie verwirklichen wollten, war es Zeit, an Kinder zu denken. Ich tat mich schwer. Ich wollte beruflich nicht zurückstecken, aber ein Leben ohne Kinder konnte ich mir auch nicht vorstellen.
Eine wichtige Frage lautete: Wie kann ich heiraten und meinen Namen behalten? Der Name war für mich Teil meiner Identität. Ich überlegte, dass wir ohne Heirat Kinder bekommen könnten. Nach geltendem Recht hätten diese den Namen der Mutter erhalten. Mein Mann fand diese Lösung nicht gut. Er wünschte sich wie ich, den Kindern seinen Namen weiterzugeben. Entscheidend war, dass das Modell «nicht heiraten» für Frauen gewaltige Nachteile hatte. Im Extremfall hätte ich bei einer Scheidung für die Kinder alleine aufkommen müssen. Das Risiko war mir zu gross.
Beruf UND Familie
Wir entschieden zu heiraten, wenn ein Kind unterwegs wäre. Ich war keine sehr glückliche Braut. Auf das Kind freute ich mich, meinen Namen hätte ich gerne behalten. Zur Vorbereitung auf das Kind gehörte, dass ich eine familientaugliche Arbeit suchte. Ich wurde Lehrerin an einer Kantonsschule. Zum ersten Mal zeigte ich zivilen Ungehorsam. Das neue Eherecht war in Diskussion, würde aber Zeit brauchen. Kurzerhand entschied ich, meinen Mädchennamen in der Öffentlichkeit zu behalten. Bei der Vorstellung hatte ich den Schulleiter darüber informiert. Er fand meine Absichtserklärung falsch. Nichtsdestotrotz stellte ich mich der Klasse und den Lehrpersonen mit meinem Mädchennamen vor. Beim ersten Besuch des Vorgesetzten sprach dieser mich mit dem Namen meines Mannes an. Das schuf in der Klasse Verwirrung. Ich erklärte die Angelegenheit den Schülerinnen und Schülern, und diese hatten Verständnis.
Das neue Eherecht
Am 22. September 1985 wurde das neue Eherecht mit fast 55 Prozent der Stimmen angenommen. Unter anderem durften die Frauen ihren Mädchennamen bei der Heirat behalten. Am nächsten Tag stand ich in der Gemeindeverwaltung und holte meinen Mädchennamen zurück. Im Gesicht des Gemeindeschreibers las ich nur Unverständnis. Ein weiteres Ziel war erreicht.
Auch sonst wurde ich mit meiner Vorstellung von Gleichberechtigung angefeindet. In der Zwischenzeit war ich härter geworden im Nehmen. Ich galt als Emanze. Als ein Nachbar mir sagte: «Eine Frau wie Sie hätte ich nie geheiratet», antwortete ich: «Keine Angst, ich Sie auch nicht.» Mit solch einem Verhalten schaffte ich mir keine Freunde. Auch später nicht, wenn meine Männerkollegen in einer Vorstellungsrunde ihre berufliche Herkunft beschrieben. Meinem Werdegang als Frau fügte ich stets mit Stolz hinzu: «Darüber hinaus bin ich Mutter von drei Töchtern.» Ich fand, dass mich die vielen Fähigkeiten, die ich dabei entwickelt hatte, mindestens so stark qualifizierten wie meine schulischen und beruflichen Fähigkeiten.
Hektisch, chaotisch und schön
Zugegeben, der Familienalltag war hektisch, bisweilen chaotisch, anstrengend – aber wunderschön. Rückblickend war das Aufwachsen der Kinder das Schönste in meinem Leben. Doch mir war es stets wichtig gewesen, auch meine anderen Talente ausleben zu können. Das gelang mir am besten bei der Arbeit. Hier nahm ich jene Herausforderungen an, die mir Familie und Haushalt nicht bieten konnten.
Jetzt kommt das Aber. Nichts in meinem Leben war so streng wie diese Familienzeit. Familie galt als Privatsache, und es gab keine Kitas. Anfänglich ermöglichte es mir eine Haushaltlehrtochter, an drei Halbtagen zu arbeiten. Den Tag, an dem sie in der Schule war, übernahm mein Mann. So kam ich zu einem Arbeitspensum von 50 Prozent. Mit dem Nachteil, dass, zusätzlich zu Haushalt und Kindern, auch die Betreuung der Haushaltlehrtochter bei mir lag. Später hatten wir das Glück, eine Frau zu finden, die morgens zu uns ins Haus kam. Die Betreuungskosten frassen meinen gesamten Lohn weg. Das war es uns wert, denn die Kinder wurden wundervoll umsorgt, und ich konnte arbeiten. Beim späteren Stellenwechsel machte die Berufserfahrung bei der Lohnverhandlung die früheren Kinderkosten wieder wett.
Vorbild sein
Ich habe mich oft gefragt, wie ich meinen Töchtern die Frauenfrage und den Stellenwert der Gleichberechtigung weitergeben könnte. Meine immer gleiche Antwort war: «Du musst vorleben, was dir wichtig ist. Alles andere kommt von selber.» Natürlich war ich politisch engagiert und die Frauenfrage wurde auch am Familientisch verhandelt. Ich war gespannt darauf, zu was für Frauen sich «meine Mädchen» entwickeln würden. Heute sind zwei der drei Töchter verheiratet und haben Partner, die fürsorgliche Väter sind. Sie sind selbstbewusste Frauen geworden und arbeiten – wie ihre Männer - in Teilzeit in verantwortungsvollen Berufen. Ihre Mädchennamen sind die Familiennamen. Auf die dritte Tochter bin ich nach wie vor gespannt.
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